Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
einzugreifen. »Schluss mit dieser Diskussion. Das führt zu nichts. Antonia, akzeptier gefälligst, dass dein Sohn erwachsen geworden ist. Er kann allein entscheiden, wen er warum lieben will, das geht uns nichts an. Freu dich lieber, dass der Junge so viel Vertrauen zu seinen Eltern hat, dass er ihnen seine Sorgen erzählt. So, und jetzt wird gegessen.«
Vertrauen hatte Vincenzo, das stimmte, aber seine Mutter war in vielen Dingen keine geeignete Gesprächspartnerin mehr für ihn. Er nahm sich vor, ihr gegenüber nichts mehr zu erzählen, was Gianna betraf. Den Rest des Mittagessens verbrachten sie schweigend.
* * *
Als Vincenzo am Nachmittag die Rechtsmedizin betrat, fiel ihm vor Staunen die Kinnlade herunter. »Dottoressa Paci, was haben Sie mit Ihren Haaren gemacht?«
Claudia Paci hatte sich die Haare schneiden lassen, und zwar ab. Nur noch ein Pagenkopf umrahmte ihr schmales, eher kantiges Gesicht. Würde er sie nicht fast täglich sehen, hätte Vincenzo die Rechtsmedizinerin nicht wiedererkannt. Pacis Löwenmähne war ihr Markenzeichen gewesen, was ihr, dem ansonsten eher herben Frauentyp, eine interessante, weibliche Note verliehen hatte. Mit dem Kurzhaarschnitt wirkte sie nur noch spröder.
Paci erhob sich schwerfällig aus ihrem Stuhl. »Gehen wir in den Kühlraum zu diesem Pircher. Und sprechen Sie mich in nächster Zeit nicht mehr auf meine Frisur an. Mich haben die Locken so dermaßen genervt. Dauernd hatte ich sie im Gesicht. Also dachte ich mir, ich mache einfach Tabula rasa. Mit dem Ergebnis hatte ich allerdings nicht gerechnet. Mein Mann hat mich angesehen, als stünde eine Außerirdische vor ihm. Und Sie sind heute auch nicht der Erste, der mir mit bloßen Blicken zu verstehen gibt, was er davon hält. Keine Sorge, ich lasse sie wieder wachsen, aber bitte keine Kommentare mehr. So, und nun zum toten Bergführer.«
Auf dem Weg in die Kühlkammer konnte sich Vincenzo ein Grinsen kaum verkneifen, als er sich den Gesichtsausdruck von Pacis Mann vorstellte. Wen hatte die Verwandlung wohl härter getroffen? Ihn oder seine Frau?
Mit einem Räuspern zog die Rechtsmedizinerin das Leichentuch von Pircher zurück. »Der Kollege hat Sie ja wahrscheinlich schon auf die sichtbaren Erfrierungszeichen hingewiesen. Meine Obduktion ist zu demselben Ergebnis gekommen. Die vielen kleinen Einblutungen der Magenschleimhaut sprechen ganz klar für einen Erfrierungstod. Ein weiteres Indiz ist der gute Zustand des Leichnams. Es gibt keine Verwesungsspuren. Routinemäßig habe ich zudem den Blaseninhalt untersucht, in dem ich Alkohol nachweisen konnte. Schätzungsweise eins Komma acht Promille. Der Mann war zum Zeitpunkt seines Todes erheblich angetrunken.«
Vincenzo betrachtete den leblosen Körper. Ein attraktiver, südländischer Typ. Pircher hatte nicht ausgesehen wie der typische Bergführer. Was hatte einen Profi dazu bewogen, sich volltrunken in ein Burgverlies abseilen zu lassen? Warum und mit wem war er dort gewesen? »Haben Sie Anzeichen von Gewalt feststellen können? Könnte ihn jemand in den Kerker gezwungen haben?«
Paci schüttelte den Kopf. Wehmütig dachte Vincenzo an die Zeit, als ihre nur selten in einem Zopf gebändigten Locken dabei noch ihr ganzes Gesicht verdeckt hatten. Es war jedes Mal ein sehenswertes Schauspiel gewesen. Nun konnte er nur hoffen, dass es bis zur nächsten Aufführung nicht allzu lang dauern würde.
»Nein, keine Anzeichen. Genauso wenig wie Spuren etwaiger Betäubungsmittel. Nur der Alkohol, sonst nichts. Doch die Promillezahl reicht meines Erachtens nicht aus für eine weitreichende Bewusstseinstrübung. Ich vermute, dass er alles um sich herum noch mitbekommen hat.«
Was für ein verrückter Fall. So viele Beteiligte. Da kam eine Menge Arbeit auf die Polizia di Stato zu. »Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
Paci zog die Augenbrauen in die Höhe. »Hat Ihnen Reiterer das nicht erzählt?«
»Was?«
»Na, die Sache mit dem Gold.«
»Gold?«
Paci nahm die Kleidung des Toten von dem Stuhl neben der Bahre, griff in seine Jackentaschen und förderte eine Handvoll Steine zutage. »Wir haben in seinen Taschen Quarzsteine mit Spuren von Gold gefunden. Und zwar nicht nur mit mikroskopischen Spuren, das war schon ein anderes Kaliber.«
Vincenzo war baff. »Gold? Heißt das, er hat einen Juwelier überfallen?«
Paci lachte. »Natürlich nicht. Ich vermute viel eher, dass er das Gold gefunden hatte. Reiterer hat alles analysiert, wirklich nett von ihm, dass er es mir
Weitere Kostenlose Bücher