Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
verbrannt hatte. Da geht dieser Kerl hoch, zertrümmert ihr mit einer schweren Bären-Skulptur den Schädel, besorgt sich im Keller in aller Ruhe mehrere Benzinkanister, deren Inhalt er nach und nach über der Leiche und im gesamten Raum verteilt. Dann legt er mit dem flüssigen Brandbeschleuniger – wie Berti Schäffner von der Feuerwehr es genannt hat – eine Benzinspur durch das ganze Treppenhaus bis hinunter an die Tür. Und danach steckt er diese Zündschnur in Brand und haut ab. Irre!
Das ist doch genau die Lösung deines Problems!, schrie plötzlich seine innere Stimme ohne Vorankündigung dazwischen.
Genau, das ist es, stimmte Tannenberg sofort zu, schälte sich aus seinem Sessel, begab sich an den Kühlschrank, öffnete ihn und entnahm ihm einen Ring Fleischwurst.
Zwar gestaltete sich das Zerteilen der mit einer dicken, kaum durchdringbaren Kunstpelle überzogenen Lyoner aufgrund seines in Gips gelegten rechten Arms mehr als mühsam. Aber das Ergebnis konnte sich trotzdem sehen lassen. Nachdem er sein Werk vollbracht hatte, stopfte er die klein geschnittenen, von ihrer zähen Umhüllung befreiten Wurststücke in eine Plastiktüte, die er mit Hilfe seines durch den Tragegriff gezogenen Gürtels an der Hose befestigt hatte, und begab sich damit die Treppe hinunter vor die Abschlusstür der Parterrewohnung, wo er sogleich von einem hysterischen, blechernen Hundegebell empfangen wurde.
Trotz seiner körperlichen Behinderungen schaffte er es in relativ kurzer Zeit, eine Fleischwurstspur zu legen, die, beginnend an der elterlichen Wohnungstür über die Treppe hinunter an der festgehakten, geöffneten Haustür vorbei hinaus auf die Mitte der Beethovenstraße führte.
Aus nahe liegenden Gründen ließ er in der Straßenmitte gleich mehrere Wurststücke zurück.
Nachdem er sein heimtückisches Arrangement kurz begutachtet hatte, blickte er sich nochmals vorsichtig nach beiden Seiten um, konnte aber niemanden erkennen, der seine nächtliche Aktion möglicherweise beobachtet hatte. Dann zog er sich schnell wieder zurück ins Gebäudeinnere. Dort stellte er sich vor die Tür der elterlichen Wohnung, zu der er selbstverständlich einen Schlüssel besaß, drehte diesen zwei Mal um und drückte den Schnapper damit auf. Ein kleiner Schubs veranlasste die knarrende Tür, sich ein wenig zum Flur hin zu öffnen.
Dann begab er sich so schnell er konnte auf die Treppe und beobachtete aus sicherer Entfernung, wie das kleine, fette Monster, als es die Wurststücke bemerkt hatte, sogleich verstummte und sich über die Köder hermachte, eins nach dem anderen vertilgte und sich langsam, aber zielgerichtet auf die von fahlem Laternenlicht nur unzureichend erhellte, nasse Straßendecke zubewegte.
Noch bevor das träge, genüsslich schmatzende Tier den schmalen Bürgersteig verlassen hatte, stand Tannenberg oben an seinem Fenster und schickte weitere Fleischwurstbrocken auf ihre nächtliche Reise in Richtung der Straßenmitte.
In der Hoffnung, bald ein Auto erspähen zu können, blickte er gespannt die Einbahnstraße hinunter.
Da bog auch schon, von der Richard-Wagner-Straße kommend, ein dunkler Kleinwagen in die Beethovenstraße ein.
Seine milchigtrüben Scheinwerfer näherten sich mit normaler Geschwindigkeit.
Tannenberg warf noch schnell die restlichen Wursthäppchen hinunter, über die das gefräßige, kleine Dackelmonster auch sofort herfiel.
Während der Hundegeplagte mit erwartungsvollem Blick auf die Straße starrte, bat er eindringlich um göttlichen Beistand. Aber der im Himmel für solche wichtigen Angelegenheiten zuständige Beamte schien sich entweder im Urlaub zu befinden oder gerade an einer Veranstaltung des Tierschutzvereins teilzunehmen, jedenfalls wurde Tannenbergs innigstes Flehen nicht erhört.
Das Auto bremste.
Der körperlich völlig unversehrte Dackel streckte nur kurz den Hals nach oben und beschäftigte sich dann weiter mit seiner zusätzlichen Abendfütterung, die ja ursprünglich als Henkersmahlzeit konzipiert gewesen war.
Dem Kleinwagen entstieg eine ältere Frau, die sogleich die Hände über ihrem Kopf zusammenschlug und damit begann, wütend drauf loszuschimpfen. Natürlich dauerte es nicht lange, bis in den Nachbarhäusern ein Fenster nach dem anderen geöffnet wurde.
Als ob sie es geahnt hätte, erschien nun auch noch Mutter Tannenberg, die ziemlich schnell die makabere Situation durchschaut hatte und gleich einen bösen Blick hinauf zu ihrem immer noch am Fenster stehenden Sohn
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