Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
vergessen geglaubten Geruch noch intensiver erschnüffeln. Was war das Typische daran? Öl? Diese olive Militärfarbe? Oder beides? Vielleicht gemischt mit dem Angstschweiß dieser armen Milchbubis, die uns – wie Vater damals sagte –, vor dem Iwan beschützen sollten. Diese armen Schlucker, die so armselig und verhungert aussahen – uns beschützen?
Während der immer noch von zahlreichen Alkoholmolekülen narkotisierte Kriminalbeamte in alten Erinnerungen schwelgte, hatte die träge Nebelmasse anscheinend beschlossen, ihre dicke, undurchdringliche Decke über die Stadt auszubreiten und die Nacht im Talkessel zu verbringen; denn sie zog sich gemächlich, aber stetig in Richtung der Altstadt zurück. Aus dem trüben Nebelmeer ragten bereits die Spitzen des Rathauses und der Max-und-Moritz-Hochhäuser in der Mainzerstraße heraus.
Fasziniert folgte Tannenberg diesem imposanten Naturschauspiel, das sich ihm direkt vor seinen Augen darbot. In der sich absenkenden Nebeldecke entstanden horizontale Lücken, einige Dunstfetzen lösten sich langsam aus der zähen, grauen Masse, rissen in Zeitlupentempo ab und schwebten wie frisch auseinander gezupfte Watte federleicht und scheinbar schwerelos durch die eiskalte Novemberluft.
Die intensive Einstrahlung der sich bereits vom Tag verabschiedenden Sonne begünstigte ein eindrucksvolles Wechselspiel der Lichtverhältnisse; man hatte den Eindruck, direkt mitzuerleben, wie ein begnadeter Maler den Himmel mit übervollen Farbeimern kolorierte: Die Wolkenlücken am Horizont erstrahlten über dem tristen, grauen Nebelteppich in allen nur denkbaren Farbnuancen des Blau-Spektrums; die abgerissenen Nebelfetzen leuchteten in zartem Türkis, sanftem Violett und vielen anderen leicht dahingehauchten Pastelltönen, von hinten durchkreuzt von schneeweißen Kondensstreifen, umrahmt von einem azurblauen Passepartout.
Jetzt konnte man auch deutlich die Spuren erkennen, die der feuchte Nebel auf den Kiefern und Fichten in der Nähe der Holzbank hinterlassen hatte: zentimeterdicke, kristalline Eisschichten, die im Licht der untergehenden Sonne wie Edelsteine glitzerten.
Tannenberg erhob sich von der Bank, stellte sich dicht an eine etwa drei Meter hohe Fichte, schloss die Augen, streckte den Kopf nach oben und zog mit seinem unversehrten Arm an einem der eisbehangenen Äste. Tausende kleine Eiskristalle rieselten auf sein leicht gerötetes Gesicht, schmolzen langsam auf der warmen Haut und benetzten sie mit einer unheimlich erfrischenden, feuchten Kühle. Mit einem Taschentuch trocknete er sein Gesicht ab und hätte liebend gern noch eine Weile dieser Symphonie der Farben und fantastischen visuellen Eindrücke beigewohnt.
Aber obwohl er nach dieser Schwelgerei im optischen Schlaraffenland nicht die geringste Lust verspürte, sich von den Fangarmen des Nebels zurück in seinen trüben Hades ziehen zu lassen, musste er doch bald wieder in dieses gespenstische Meer eintauchen. Schließlich wurde es immer dunkler – und noch einmal hinzufallen konnte er sich nicht leisten.
Über die sich absenkende Nebelmasse hinweg wanderte sein Blick hinunter auf das Gelände des Technologieparks, das sich in den letzten Minuten immer deutlicher aus dem trüben, grauen Dunst herausgearbeitet hatte.
Linker Hand der Großraumdisco erkannte er plötzlich das rückwärtige Gebäude der Firma FIT.net , in dem es gebrannt hatte. Von seinem Beobachtungspunkt aus hatte er eine ungehinderte Sicht auf den kleinen Parkplatz und den Hintereingang, von dem aus das gefräßige Feuer entfacht worden war.
Von dort aus konnte der Täter unerkannt hier hoch in den Wald flüchten! Es sei denn … Es sei denn, hier irgendwo in der Nähe wäre jemand gewesen, der das alles beobachtet hat! – Also müssen die Kollegen unbedingt am Samstag die Leute hier in der Gegend befragen: unten in der Umgebung der Firma, aber auch hier oben im Wald, sagte Tannenberg zu sich selbst und machte sich vorsichtig daran, trotz seiner Verletzungen die steile Böschung hinab in den PRE-Park zu klettern.
Es ist schon fantastisch, was diese Gruppe Kaiserslauterer Jungunternehmer aus diesem alten, maroden Kasernengelände in den wenigen Jahren gemacht hat, wie viele Arbeitsplätze für unsere strukturschwache Region hier geschaffen wurden, stellte er anerkennend fest, während er an den dekorativen Glasfassaden der renovierten Militärgebäude vorbeischlenderte und das neue Wohngebiet in der Nähe des Zimmermannskreuzes ansteuerte – dort wo
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