Goldrausch: Tannenbergs zweiter Fall
starrte.
»Hier haben wir unseren ersten Zug«, fuhr er fort und zeigte mit einem dünnen Holzstock auf eine große, mit wenigen Eddingstrichen stilisierte Lokomotive, auf die ein blaues Pappkärtchen gepinnt war. »Hier befindet sich unsere Ausgangsposition: die brutal erschlagene und bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Susanne Niebergall.« Tannenbergs Zeigestock vollführte einen Sprung auf der Pinnwand. »Und das hier ist unser Zielbahnhof, der so schnell wie möglich erreicht werden soll: die Identifizierung des Täters.«
»Jetzt hören Sie aber mal auf mit Ihrer todlangweiligen Märchenstunde, Herr Hauptkommissar! Kommen Sie endlich zur Sache! Ich hab schließlich meine Zeit nicht gestohlen«, funkte plötzlich Dr. Hollerbach energisch dazwischen.
Tannenberg setzte seine Ausführungen unbeeindruckt fort. »Wir sind die ganze Zeit über von zwei verschiedenen Zügen ausgegangen, die auf zwei verschiedenen Gleisen fahren. Was wäre nun aber, wenn die beiden nicht nur auf demselben Gleis fahren würden, sondern auch noch fest aneinandergekoppelt wären, also quasi auf einer Zeitschiene hintereinander geschaltet wären?«
»Du sprichst völlig in Rätseln!«, beschwerte sich Kommissar Schauß und rief mit seiner Kritik bei den Anwesenden, die ja bis auf Fouquet noch nicht über den neuesten Stand der Ermittlungen informiert waren, ungeteilte Zustimmung hervor.
Um die von ihm vorsätzlich herbeigeführte, allseitige Verwirrung aufzulösen, erläuterte Tannenberg mit Hilfe vorbereiteter Pappkärtchen, die er während seines Vortrags nacheinander in das antiquarisch anmutende Zugmodell pinnte, seine nebulösen Äußerungen.
»Chef, wenn ich Sie richtig verstehe, gehen Sie davon aus, dass der Penner in zwei Zügen mitfährt«, testete Kriminalhauptmeister Geiger seine Verständnisfähigkeit.
»Genau! Und zwar im ersten Fall als Zeuge, der den Mörder und Brandstifter gesehen und danach wahrscheinlich erpresst hat. Und im zweiten Fall als Opfer, das der Täter als unliebsamen Mitwisser brutal aus dem Weg geräumt hat.«
»Dann suchen wir also ab sofort nur noch nach einem Mörder?«, fragte Sabrina.
»Warum? Muss ja nicht sein; die zweite Tat kann ja auch ein Komplize ausgeführt haben«, wandte Fouquet kritisch ein.
»Also so was wie’n Auftragsmord«, meinte Geiger.
»Wäre eine Möglichkeit …«
»Eine Mög-lich-keit!«, unterbrach der Oberstaatsanwalt. »Eine Mög-lich-keit. Wie viele Möglichkeiten gibt’s denn, Herr Hauptkommissar? Könnte – wäre – vielleicht! Ich kann diese Worte einfach nicht mehr hören! Tannenberg, was soll das denn hier eigentlich werden?«
»Warten Sie’s doch einfach mal ab«, gab Tannenberg zurück.
»Nein, keine Lust! Mich erinnert das alles irgendwie an Bleigießen am Silvesterabend. Da hört man auch nur wilde Spekulationen! Und die bin ich einfach Leid!« Dr. Hollerbach erhob sich und begab sich in Richtung der Tür. »Was Sie uns anhand dieses vorsintflutlichen, kindischen Eisenbahnmodells vorgestellt haben, sind doch nichts als völlig haltlose Vermutungen! Sie und Ihre Leute haben auch nach über drei Wochen Ermittlungsarbeit immer noch nichts gefunden, was uns wirklich weiterbringt: keine Tatwaffen, keine Geständnisse, keine Zeugen!« Er lachte laut auf. »Außer einem Toten, der zu Lebzeiten vielleicht irgend etwas beobachtet hat! Wenn er überhaupt etwas von dem Mord im PRE-Park mitbekommen hat. Sie haben überhaupt nichts!«
»Doch! Einen dringend Tatverdächtigen!«
»Ach ja, Tannenberg, der liebe Herr Professor. Den hab ich ja ganz vergessen! Dass ich nicht lache! Was haben Sie denn gegen ihn in der Hand? … Gar nichts! Grau ist alle Theorie, Herr Hauptkommissar! Was ich brauche, sind unumstößliche Fakten, eindeutige Beweise – keine albernen Hirngespinste!«
»Dann beschaffen Sie uns endlich eine Durchsuchungs-
anordnung für den Professor und seinen sauberen Anwalt!«, entgegnete der Leiter des K1 scharf.
»Auf welchem Stern leben Sie denn, Tannenberg? Der Ermittlungsrichter lacht mich doch glatt aus, wenn ich zu ihm gehe und sage: Den Herren vom K1 ist es langweilig. Sie haben zwar außer einer wild zusammengebastelten Mordtheorie keinerlei Indizien, aber sie möchten trotzdem gerne beim Leiter eines Kaiserslauterer Vorzeigeunternehmens und dessen mit einem tadellosen Leumund be-hafteten Justiziar Hausdurchsuchungen vornehmen.«
Michael Schauß schien des unproduktiven Scharmützels der beiden Kampfhähne überdrüssig zu sein. Er begab sich
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