Goldstein
ging zu dem Hund hinüber.
»Braves Tier«, sagte er und tätschelte den kantigen Hinterkopf. »Brav, Stalin.« Der Hund hechelte still vor sich hin und schaute Rath und Charly so an, als sei er noch lange nicht mit ihnen fertig und freue sich schon auf den Augenblick, in dem sein Herrchen Beißerlaubnis erteilen würde.
Als Rath sich endlich wieder bewegen konnte, drehte er seinen Kopf zu Charly, in deren Gesicht langsam die Farbe zurückkehrte. Stalins Herrchen ließ den Hund liegen und wandte sich ihnen zu.
»Wenn Sie vom Magistrat sind, rate ich Ihnen, nicht ohne Polente hier aufzukreuzen.«
Rath wollte seinen Ausweis zücken, doch Charly knuffte ihn in die Seite.
»Wir suchen Emil Reinhold«, sagte sie. »Der soll hier wohnen mit seiner Frau.«
»Und was wollen Sie von ihm?«
»Wir sind Freunde von Helmut«, sagte Charly. »Der Sohn von ...«
»Ich weiß, wer Helmut Reinhold ist«, unterbrach sie der Mann. »Aber ich weiß nicht, ob Emil gut auf den zu sprechen ist. Und auf seine Sozi-Freunde.«
»Deswegen schickt er ja uns.« Charly wirkte sehr überzeugend. Rath staunte. »Er weiß, dass sein Vater sehr verbittert ist und möchte seinen Frieden mit ihm machen.«
»Dann seid ihr die Parlamentarier, wa? Die versuchen, wieder Frieden zu schließen?« Der Mann lachte. »Und ick dachte schon, ihr wärt Bullen, nach dem Theater, das Stalin gerade veranstaltet hat.« Der Mann fuhr mit beiden Händen durch das Halsfell des Hundes. »Auf Bullen reagiert der allergisch. Aber ...« Er lüftete seine Mütze in Richtung Charly, »dann hab ich ja gesehen, dass da ’ne Dame dabei ist.«
»Wo finden wir Herrn Reinhold denn?«, fragte die Dame.
Der Mann zeigte in Richtung des Seeufers. »Unten, direkt am See, da hinten ungefähr, wo Sie die Rauchfahne sehen.«
Charly nickte und zog Rath mit. Der Hund namens Stalin verfolgte sie mit den Augen, blieb aber brav liegen. Kirie bellte noch einmal kurz und mutig, dann zog Rath an der Leine, und sie folgte gehorsam.
Die Hütte von Emil Reinhold war noch als ehemalige Weihnachtsmarktbude zu erkennen. Allerdings konnte Rath sich nicht vorstellen, dass sie auch nur auf einem einzigen Weihnachtsmarkt ihrer bestimmt langen Karriere derart schief zusammengezimmert worden war wie hier am Ufer des Müggelsees. Das Dach sah aus, als sei es allein dafür gebaut, sämtlichen Regen zu sammeln und dann Tropfen für Tropfen nach innen zu leiten; an der Seitenwand konnte Rath keinen einzigen rechten Winkel entdecken. Ein guter Zimmermann war Emil Reinhold jedenfalls nicht. Vor die Ladenöffnung der ehemaligen Verkaufsbude hatte er einen Bretterverschlag gezimmert, der mit einer grauen Zeltplane abgedeckt war, vielleicht war es auch eine ausrangierte Lkw-Plane.
Rath nickte Charly zu, stellte sich an die Tür, die in den Bretterverschlag eingepasst war, und klopfte an.
Es dauerte etwas, dann standen sie einem vielleicht fünfzigjährigen schlecht gelaunten Mann gegenüber.
»Emil Reinhold?«, fragte Rath, und der Mann nickte.
»Mein Name ist Ritter, und das ist Herr Rath«, sagte Charly höflich. »Wir suchen Ihre Tochter. Alexandra.«
»Da suchense hier falsch.« Der Mann wollte die Tür schon wieder zuschlagen, doch Charly hatte bereits ihren Fuß in den Spalt gestellt.
»Vielleicht haben Sie ja eine Idee, wo wir sie finden könnten. Es ist wichtig, Herr Reinhold; Ihr Sohn Helmut ...«
Der Name seines Sohnes wirkte wie ein Signal auf Emil Reinhold, er unterbrach Charly sofort. »Ach, daher weht der Wind«, sagte er. »Schickt Helmut jetzt seine Sozifreunde vor, weil er sich selber nicht mehr traut?« Er zeigte auf die Kolonie. »Sehnse sich doch um: Das habt ihr Sozis uns eingebrockt. Arbeiterverräter!« Er spuckte aus, und Charly musste ihren Fuß wegziehen, um nicht getroffen zu werden.
Dennoch blieb sie bemerkenswert ruhig. »Herr Reinhold, wir sind keine Sozialdemokraten; es geht nicht um Helmut, es geht um Ihre Tochter!«
»Ich weiß nicht, wo sie ist, und ich will es auch gar nicht wissen. Vielleicht hatse ja wieder bei Wertheim angefangen. Soller Alex doch selber suchen, wenn er Sehnsucht nach ihr hat!«
» Wir suchen sie«, sagte Charly. »Wir suchen sie, weil wir fürchten, dass ihr etwas Schlimmes passiert ist. Wir suchen sie, weil wir ihr helfen wollen.«
»Und wer ist wir ?« Der Alte schaute misstrauisch.
Charly stupste Rath an, und der zeigte seine Polizeimarke. Mit begrenztem Erfolg.
Emil Reinhold stierte auf die Blechmarke. »Ich dachte, Sie wollen ihr
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