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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Mordfälle verwickelt. Einmal der Mordfall Beckmann, einer von Böhms nassen Fischen. Heinrich Beckmann war am Abend des 20. Dezember 1930 in seiner Wohnung erschossen worden. Vom Täter fehlte jede Spur. Allerdings gab es Zeugen, die Karl Reinhold aus dem Haus hatten laufen sehen, kurz nachdem der Schuss gefallen war. Andere dagegen wollten seine Schwester Alexandra gesehen haben, wie sie das Haus etwa zehn Minuten vor dem Schuss betreten hatte. Von beiden fehlte seither jede Spur. Bis gestern Nachmittag, als Alexandra Reinhold aus dem Amtsgericht Lichtenberg getürmt war. Ihre Eltern waren nur zwei Tage nach dem Mord aus ihrer Wohnung geflogen, eine Zwangsräumung, die Beckmann, der Hausverwalter,am Morgen seines Todestages noch auf den Weg gebracht hatte – womöglich das Mordmotiv. Der zweite Todesfall hatte mit dem KaDeWe-Einbruch zu tun: Bei dem ermordeten Berolina-Hehler war ein Teil der Beute gefunden worden. Die Beute, mit der Alex den Kollegen in der Nacht des Einbruchs entkommen war.
    Welche Rolle das flüchtige Mädchen in all diesen Fällen auch spielen mochte – Charlys Fehler hatte dadurch ein ganz neues Gewicht bekommen. Jedenfalls konnte man ihren Fauxpas nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen.
    Bei aller Notwendigkeit, das Mädchen zu finden, möglichst bald zu finden, konnte Rath allerdings immer noch nicht einsehen, welchen Zweck es haben sollte, spätabends Alex’ obdachlose Eltern zu besuchen, deren Befragung schon vor einem halben Jahr zu nichts geführt hatte. »Du hast ihren Namen, du hast sogar ihre Familie ausfindig gemacht und einen alten Fall ausgegraben, warum überlässt du den Rest nicht einfach der Fahndung«, hatte er gesagt, nachdem Charly ihm alles erzählt hatte. Es hatte ein Trost sein sollen, wenigstens der Versuch eines Trostes, aber sie hatte ihn mit diesem verständnislosen Blick angeschaut, den er so hasste, diesem leicht verächtlichen Blick, der zu sagen schien: Warum verstehst du mich eigentlich nicht?
    Die Siedlung, eine seltsame Mischung aus Zeltplatz und Hüttendorf, machte einen ordentlichen, sauberen Eindruck, fast als werde hier regelmäßig durchgefegt. Der Duft von Bratkartoffeln hing in der Luft. Sie gelangten auf eine Art Platz, in dessen Mitte Holz für ein Lagerfeuer aufgeschichtet war, akkurat wie bei den Pfadfindern. Eine Frau hängte gerade Wäsche ab, und zwei Kinder spielten Nachlaufen, ansonsten war kein Mensch zu sehen. Die Frau an der Wäscheleine beäugte die beiden viel zu gut angezogenen Besucher mit misstrauischen Seitenblicken, ließ sich aber beim Wäscheabhängen nicht stören. Die warmen Strahlen der untergehenden Sonne tauchten die ganze Szenerie in ein wohlwollendes Licht, sodass es beinah idyllisch wirkte.
    Plötzlich fing Kirie an zu knurren; ihre Nackenhaare stellten sich auf.
    Die Frau nahm ihren Wäschekorb und verschwand eilig in einer der Zeltbuden.
    Dann bellte mit einem Mal ein Hund los, und Rath zuckte zusammen. Das klang gefährlicher als das harmlose Bellen, das er von Kirie kannte, das klang ernstlich wütend.
    »Halt den Hund gut fest«, zischte Charly.
    Rath hatte die Hundeleine schon mehrfach ums Handgelenk gewickelt. Kirie machte allerdings gar keine Anstalten, sich loszureißen. Stocksteif stand sie da, knurrte leise vor sich hin und zitterte wie ein Elektromotor mit Fell. Sie hatte die Ohren gespitzt und schaute genau in die Gasse, die in die Mitte der Kolonie führte. Jetzt ertönte das Bellen wieder, lauter diesmal, und schließlich erblickten sie auch den Urheber, einen großen Hund von der braunschwarzen Farbe einer Kakerlake, eine ungesund wirkende Mischung aus allen möglichen Rassen mit großen Anteilen Dobermann, Rottweiler und Werwolf. Der monströse Hund war nicht angeleint, wie Rath zu seinem Entsetzen feststellte. Einen Moment blieb das Tier stehen und schaute die Eindringlinge neugierig an, dann trabte es an und stürmte genau auf sie zu. Nun fing auch Kirie an zu bellen, bellte dem heranrasenden Bündel aus Muskeln, Fell und Zähnen entgegen, doch es klang wie immer: harmlos. Den angreifenden Hund schreckte es jedenfalls nicht. Rath wurde steif wie ein Brett, er hatte das Gefühl, sein Herz blieb stehen. Der fremde Hund war nur noch wenige Meter entfernt, da ertönte ein schriller Pfiff, und das Tier warf sich aus vollem Lauf auf den Boden, dass es staubte.
    Ein vielleicht dreißigjähriger Mann, der die ganze Zeit nur wenige Meter entfernt im Schatten einer Wellblechwand gesessen hatte, stand auf und

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