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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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ihr viel Leine und folgte, so gut es ging. Allerdings führte der Hund sie durch ziemlich unwegsames Gelände; das Unterholz wurde immer dichter.
    »Bist du sicher, dass wir hier hergekommen sind?«, fragte Charly nach einer Weile.
    »Keine Ahnung. Jedenfalls hat der Hund die Fährte.«
    »Fragt sich nur, was für eine.«
    Das sollten sie fünf Minuten später wissen. Kirie beschleunigte ihren Schritt, als sie den Waldrand erreicht hatten, und stürzte plötzlich auf etwas zu, das am Boden lag, schnappte zu und schlackerte es hin und her wie ein Beutetier.
    »Auusss!«, rief Rath, der trotz Taschenlampe nicht genau erkennen konnte, was der Hund da gepackt hatte. Erst beim dritten »Aus!« ließ Kirie die Beute fallen. Rath leuchtete auf ein zerrupftes Fellbündel am Boden, aus dem rote Matsche quoll wie aus einem geplatzten Plüschkissen.
    Ein totes Eichhörnchen.
    Kirie schaute schuldbewusst. Charly musste lachen.
    »Lach nicht«, meinte Rath, »wir müssen streng sein mit dem Hund!«
    Sie riss sich zusammen, doch als Rath voller Ernst »Böser Hund!« sagte, prustete sie wieder los.
    »So wird das nie was mit der Hundeerziehung«, seufzte er.
    »Ich würde sagen, nachdem deine Taschenlampe und dein Hund versagt haben, verlassen wir uns jetzt auf meinen Orientierungssinn.«
    Rath musste die Lampe ausknipsen, und Charly schaute in den Nachthimmel. Sie schien sich nach dem Mond zu richten oder irgendwelchen Sternen, jedenfalls schlugen sie die richtige Richtung ein. Dennoch sollte es fast eine halbe Stunde dauern, ehe sie das Auto erreichten. Zu allem Überfluss gerieten sie unterwegs auch noch in sumpfiges Gelände, was Rath mit dem Verlust seines linken Schuhs bezahlte. Alles Suchen mithilfe der kurzfristig wieder eingeschalteten Taschenlampe blieb zwecklos; der Sumpf hatte den Schuh gefressen und gab ihn nicht mehr her.
    Rath saß in der geöffneten Autotür und wrang seine Socken aus. Charlys Füße sahen auch nicht besser aus, doch besaß sie wenigstens noch beide Schuhe. Kiries nasse Pfoten konnte man nichtauswringen; der Hund hinterließ eine Riesensauerei im Auto und auf Charlys Mantel, als er seinen Kopf auf ihren Schoß legte. Rath ­verstaute Socken und Schuh im Fußraum und startete den Wagen.
    »Geht das denn?«, fragte Charly. »Fahren ohne Schuhe?«
    »Mit bläcke Fööß jeht alles, sagt man bei uns in Köln.«
    Und es ging wirklich ganz gut. Langsam schaukelten sie über die Köpenicker Landstraße zurück in die Stadt. Natürlich schaffte der Hanomag nicht die ganze Strecke ohne Zicken. Ausgerechnet am Schlesischen Tor ließ er sie wieder im Stich, mitten in der Stadt. Die Passanten schauten interessiert bis amüsiert, als ein barfüßiger, ansonsten tadellos gekleideter Mann aus dem kleinen, einäugigen Auto stieg, die Motorhaube öffnete, irgendetwas richtete, die Haube dann wieder schloss, einstieg und den Motor startete.
    Charly grinste, als er wieder neben ihr saß.
    »Entschuldige«, knurrte er und legte den Gang ein, »normalerweise hätte ich Ersatzschuhe dabei.«
    Charlys Grinsen war verschwunden. »Was ist los mit dir?«, fragte sie.
    »Was soll los sein? Wir sind keinen Schritt weiter, dafür haben wir nasse Füße, dreckige Klamotten und einen Schuh weniger. Und zu wenig Schlaf kriegen wir auch.«
    »Na und? Geschlafen wird am Ende des Monats! Das sagst du doch immer!«
    »Wir hätten den Abend jedenfalls besser mit einer Flasche Rotwein zuhause verbracht, anstatt da draußen unsere Zeit zu verplempern.«
    »Verplemperte Zeit?« Charly tat entrüstet. »Also bitte! Noch nie in meinem Leben bin ich eindringlicher vor den Gefahren der Sozialdemokratie gewarnt worden.«
    »Wahrscheinlich hast du recht. Der Schwachsinn, den Reinhold und Genossen verzapfen, ist jedenfalls sinnvoller als alles andere heute Abend!« Er schaute sie an. »Nun gib wenigstens zu, dass es eine Schnapsidee war!«
    Charly sagte nichts, und er beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Wenn ihre Gesichtszüge derart hart wurden, ging man besser in Deckung. Sie brauchte fast eine Minute, ehe sie wieder sprach.
    »Was wird das?«, sagte sie, und ihre Stimme klang so kalt wie schon lange nicht mehr. »Heulst du nur deinem blöden Schuh hinterher? Oder bedauerst du es, mir bei meiner Schnapsidee geholfen zu haben?«
    »Charly! So war das doch nicht gemeint!«
    »Wie war es denn gemeint?«
    »Du musst doch zugeben, dass ich recht hatte: Wir hätten die Sache gleich der Fahndung überlassen sollen.«
    »Aber genau das will ich

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