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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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die Tür der Notaufnahme an. Sie hatten ihn immer noch nicht bemerkt; der Mann im Bademantel war der Einzige, der ihn beobachtete. Goldstein öffnete die Fahrertür, bedachte den spazierenden Patienten mit einem freundlichen Nicken und setzte sich hinters Steuer. Alswäre es das Selbstverständlichste der Welt, löste er die Handbremse, legte den Gang ein und gab Gas. Die Hecktür schwang hin und her, als der Wagen nach vorne schoss, und schlug dann zu, der Kies spritzte unter den durchdrehenden Reifen.
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    D iese Krankenschwester hatte wahrlich Haare auf den Zähnen! Nicht einmal die geballte Macht zweier Polizeiausweise konnte sie beruhigen. Tornow hatte einen überladenen Geschirrwagen übersehen und eine Teekanne zu Boden geworfen. Sie hatten sich gleich daran gemacht, den Schaden zu beheben, doch diese Hexe in Weiß, die da aus irgendeiner Tür gestürmt war, ließ sie nun gar nicht mehr zu Wort kommen. Das allergrößte Vergehen war dabei gar nicht mal die zu Bruch gegangene Kanne, sondern der Umstand, dass zwei Männer, mochten sie auch Polizisten sein, es gewagt hatten, in einem Krankenhaus einen solchen Krach zu machen, und das vor allem außerhalb der Besuchszeiten!
    So ungefähr glaubte Rath es jedenfalls den lautstarken Äußerungen der Schwester entnommen zu haben. Wie sich ihr Gekeife mit der Nachmittagsruhe der Patienten vertrug, darüber schien sich die Frau unter der gestärkten Haube keine Gedanken zu machen.
    Tornow unternahm einen weiteren Anlauf, die Schwester zu beruhigen. »Gute Frau«, sagte er, »wir wollen lediglich einen kurzen Blick in Zimmer einhundertzwei werfen. Der Patient dort kann uns vielleicht helfen, einen flüchtigen Verbrecher zu fangen.«
    Die Schwester schien kaum zugehört zu haben. Als sie schon wieder anfangen wollte mit ihren Schimpftiraden, verlor Rath die Geduld.
    »Hören Sie mir mal gut zu, meine liebe Frau! Beschweren Sie sich meinetwegen beim Polizeipräsidenten persönlich, wenn Sie das für nötig halten, aber lassen Sie uns jetzt unsere Arbeit erledigen. Sollten Sie uns noch länger davon abhalten, sehe ich mich leider gezwungen, Sie wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungsarbeiten anzuzeigen!«
    Die Drohung half; die Krankenschwester verstummte augenblicklich, wurde nach einem Moment der Schockstarre ganz kleinlaut. »Zimmer einhundertzwei, sagen Sie?«
    Rath nickte, freundlich lächelnd.
    »Dort drüben. Regen Sie den Patienten bitte nicht zu sehr auf. Der Mann ist todkrank.«
    »Wir werden sehr behutsam vorgehen, versprochen«, sagte Tornow.
    Die Schwester zeigte sich zufrieden, ließ sie aber nicht aus den Augen, folgte ihnen in respektvollem Abstand bis zur Tür. Tornow klopfte an. Niemand antwortete.
    »Vielleicht schläft er«, meinte die Schwester. »Er schläft viel, wenn er nicht gerade Schmerzen hat.«
    Rath nickte. Vorsichtig öffnete er die Tür.
    Ein einziger Patient lag in dem Krankenzimmer, ein alter Mann, dessen hageres Gesicht tief in die Kissen gesunken war. Den Nachttisch schmückte ein riesiger Blumenstrauß; auf einem Schild am Fußende des Bettes war handschriftlich der Name Jakob Goldstein vermerkt.
    Es war der Richtige, keine Frage, dennoch konnte ihnen der Patient aus einhundertzwei nicht mehr weiterhelfen.
    Rath hatte genügend Tote gesehen, um zu wissen, dass dieser so friedlich lächelnde Mann nicht mehr lebte.
    Laute Rufe drangen durch das geöffnete Fenster, dann das Geräusch eines aufheulenden Motors. Rath drehte den Kopf und bemerkte das offene Fenster. Das war nicht nur geöffnet worden, um ein bisschen frische Luft in den Raum zu lassen, es stand sperrangelweit offen. Er stürzte hinüber und schaute hinaus, sah einen Krankenwagen mit hin und her schwingender Hecktür, der gerade mit Vollgas vom Krankenhausgelände auf die Schulstraße fuhr. Zwei Krankenpfleger starrten dem Wagen mit offenem Mund hinterher. Ein Mann im Bademantel kam über den Kiesweg geschlurft und lamentierte.
    »Der ist einfach weg«, hörte Rath den Bademantelmann sagen, »ist von da oben runter und in den Krankenwagen gestiegen!«
    Was er mit da oben meinte, erklärte er mit einer einfachen Geste: Er deutete mit dem Zeigefinger genau auf Rath. Und auf Tornow, der inzwischen auch ans Fenster getreten war.
    »Was ist denn los?«, fragte der Kommissaranwärter.
    »Goldstein«, sagte Rath. »Er ist uns entwischt!«
    »Verdammt!«
    Die beiden Polizisten stürmten an der Schwester vorbei aus dem Zimmer und auf den Gang. Keine Minute später standen sie unten

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