Goldstein
überlegte nicht lange und ging hinein.
Das Gebäude stand leer. Hier drinnen roch es noch ekelhafterals draußen auf dem Gelände, zu den tierischen Gerüchen gesellte sich noch etwas Chemisches. Charly lauschte, sie meinte, Stimmen gehört zu haben, aber jetzt war es wieder still. Leise tastete sie sich vor, mit gespitzten Ohren, versuchte selber kein Geräusch zu machen. Sie überprüfte ihre Waffe. Die kleine Taschenpistole, die Lange ihr mitgegeben hatte, eine alte belgische Pieper Bayard, hatte sie eigentlich wegen Kuschke eingesteckt, für den Fall, dass sie bei dessen Beschattung in eine brenzlige Situation geraten sollte. Sie entsicherte die Bayard und arbeitete sich langsam vor, von Raum zu Raum. Der Gestank nahm zu, die Stimmen wurden lauter. Sie glaubte, ein Wimmern zu hören, ein Flennen, irgendwo hinter der Tür am Ende des Raumes, die nur einen Spalt breit offen stand. Was zum Teufel war dort los?
Sie stieß die Tür mit dem Fuß auf und stürmte hinein, die Pistole schussbereit ins Halbdunkel gerichtet.
»Schluss jetzt!«, rief sie in den Raum, ohne zu wissen, mit was eigentlich Schluss sein sollte, denn erst jetzt konnte sie sich einen Überblick verschaffen. Und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. An der Stirnwand des Raums saß Alexandra Reinhold auf einem Tisch und hatte ihren Kopf an die Schulter von Erich Rambow gelehnt, an ihrem linken Fuß baumelten die Reste einer zerfetzten Unterhose. Rambow hatte den linken Arm tröstend um das Mädchen gelegt, in seiner Rechten hielt er ein Fleischerbeil, dessen Klinge blutig rot schimmerte. Und nur ein paar Meter neben ihnen hockte ein Junge mit heruntergelassenen Hosen auf dem Boden und hielt sich den Bauch. Das Arschloch aus der alten Fabrik, der vierschrötige Kerl, der ihr solche Angst eingejagt hatte. Kralle, oder wie lautete sein Spitzname? Jetzt saß er da wie ein Häufchen Elend, flennte und stöhnte vor Schmerzen.
Alle drei schauten Charly mit großen Augen an, als sie dort stand und die Pistole in ihrer Hand hin und her wandern ließ, dass niemand auf die Idee kommen konnte, er sei womöglich nicht gemeint. Instinktiv hatten Alex und Rambow die Arme hochgerissen. Nur der Junge auf dem Boden hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Blut glänzte zwischen seinen Fingern.
»Ich sterbe«, wimmerte er immer wieder, »ich sterbe.«
Charly ließ die Pistole sinken.
»Was ist hier verdammt noch mal passiert?«, fragte sie.
77
K ronberg wusste gleich, von welcher Leiche Rath sprach.
»Die von der Deponie? Üble Sache. Vollkommen von Ratten zerfressen. Obwohl Doktor Schwartz sagt, dass der arme Kerl höchstens seit einer Woche tot ist, sind nur noch zwei Finger so weit intakt, dass wir Abdrücke nehmen konnten.«
»Und jetzt sind Sie dabei, die Kartei durchzuackern ...«
»Glücklicherweise nicht ich persönlich.«
»Und das ballistische Gutachten geht davon aus, dass er mit einer Remington getötet wurde?«
»Das ist das Erste, was ich höre.« Für eine Weile herrschte Schweigen in der Leitung. Kronberg schien zu überlegen. »Interessante Hypothese«, sagte er dann. »Ziemlich exotische Waffe, könnte aber passen.«
»Steht heute in der Zeitung«, sagte Rath. »Soll sogar dieselbe Waffe sein wie am Humboldthain.«
»Hhm. Ich halte ja nicht viel von den Zeitungsfritzen. Aber in diesem Fall könnten sie womöglich richtigliegen.«
Rath wunderte sich. Finks Informant schien sogar dem Erkennungsdienst um eine Nasenlänge voraus zu sein.
»Haben Sie die Abdrücke dieser nicht identifizierten Leiche schon mit denen von Hugo Lenz verglichen? Oder denen von Rudi Höller? Die haben Sie doch in der Kartei, oder?«
»Ratten-Rudi und der rote Hugo? Natürlich haben wir deren Abdrücke. Allerdings ist mein Mitarbeiter erst bei Eff, soviel ich weiß.«
»Sie gehen alphabetisch vor?«
»Irgendeine Reihenfolge braucht man ja.« Kronberg wirkte ein wenig beleidigt. »Wie kommen Sie ausgerechnet auf Lenz und Höller?«, fragte er.
»Ein Tipp«, log Rath. »Die beiden werden wohl vermisst, hört man.«
Kronberg lachte plötzlich laut auf. »Das wäre ja ein Ding«, sagte er. »Ratten-Rudi von Ratten zerfressen.« Dann senkte er die Stimme und klang wie ein Verschwörer. »Ich gehe der Sache nach, Herr Kommissar. Danke für den Hinweis.«
»Keine Ursache.«
Rath legte auf. Er war der Letzte im Büro. Schluss für heute. Er schnappte sich Kiries Leine.
Er freute sich auf den Feierabend, freute sich darauf, Charly zu sehen. Ihr Geruch heute Morgen
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