Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
lang, und sie hoffte, Kuschke möge nicht irgendwo in einem Haus verschwunden sein, bevor sie um die Ecke bog. Hübsche Häuser standen in der Händelstraße, alle boten freie Sicht auf den Park und waren entsprechend begehrt. Von so einem hatte ihr Vater immer geträumt, daran erinnerte sich Charly jetzt, und hatte es dennoch nie geschafft, aus Moabit herauszukommen.
    Sie hatte das Ende der Lessingstraße beinahe erreicht, da kam ein Schutzmann um die Ecke gebogen. Für einen Moment kam sich Charly wie ertappt vor, obwohl sie wusste, dass sie nichts Verbotenes tat. Der Schupo faltete ein Taschentuch zusammen und steckte es ein. Dann hatte sie die Händelstraße endlich erreicht und hoffte, Kuschke nicht verloren zu haben.
    Sie schaute um die Ecke und hätte fast einen Satz zurück gemacht, so sehr fuhr der Schreck durch ihren Körper.
    Kuschke war nicht in einem der Häuser verschwunden, auch nicht im Charlottenhof , dem Gartenlokal am Parkrand, dessen regennasse Tische derzeit keinen einladenden Eindruck machten. Nein, da stand er, keine zehn Meter von ihr entfernt, mit dem linken Arm und dem Oberkörper an eine Straßenlaterne gelehnt, als müsse er einen Moment verschnaufen.
    Glücklicherweise hatte er ihr den Rücken zugewandt und sie noch nicht gesehen, überhaupt war ansonsten kein Mensch auf dieser Straße unterwegs, wie es aussah. Charly stellte sich hinter die Litfaßsäule an der Straßenecke. Während sie zur Seite schielte, um Kuschke im Blick zu halten, betrachtete sie die Plakate. Figaros Hochzeit in der Krolloper – hatte man die nicht mittlerweile dichtgemacht? Charly merkte, dass sie nervös wurde. Sie wartete darauf, dass Kuschke weiterging, doch nichts passierte. Der Mann stand da und rührte sich nicht vom Fleck, hatte eine Hand am Laternenmast und hielt sich mit der anderen den Bauch. Was war da los, war ihm übel? Hatte Kuschke Magenschmerzen?
    Neben dem Opernplakat hing ein Fahndungsaufruf der Burg. Abraham Goldstein . Gereons flüchtiger Gangster.
    Charly wurde immer nervöser. Was war los mit Kuschke? Sollte sie ihn überholen? Und dann? Einfach weitergehen und dann wieder den Trick mit dem Schminkspiegel? Und was, wenn das eine Falle war? Wenn er nur darauf wartete, dass sie das tat – weil er sie längst erkannt hatte?
    Dann erst kam sie darauf, was sie die ganze Zeit stutzig gemacht hatte an diesem Bild: sein Regenschirm. Er lag zu seinen Füßen auf dem Boden, und er machte keinerlei Anstalten, ihn aufzuheben.
    Sie hatte sich gerade entschlossen, ihre Deckung aufzugeben und hinüberzugehen, da sackte Kuschkes schwere, massige Gestalt so plötzlich nach unten, als habe jemand die Fäden einer Marionette gekappt, sein Oberkörper rutschte den Laternenmast hinunter, und Jochen Kuschke sank auf die Knie, als wolle er beten.
    Charly näherte sich dem Mann, den sie eigentlich nur beobachten sollte, dem mutmaßlichen Mörder von Benjamin Singer, lief so schnell sie konnte. Sie hörte ihn keuchen, hörte ihn schnell und hektisch atmen, aber erst als sie ihn erreicht hatte, als sie sein Gesicht sehen konnte, die schreckgeweiteten Augen, die zwischen der Hutkrempe und den frischen, sauberen Pflastern wie eingerahmt wirkten, und sein blutgetränktes Hemd, auf das er immer noch die Hand drückte, begriff sie, was da gerade passiert war.
    Und konnte es nicht fassen, ebenso wenig wie Kuschke. Mit ungläubigem Blick stierte der Mann auf seine blutverschmierte Hand, auf den Messerknauf, der aus seiner Brust ragte, und dann auf sie, auf Charly. Und obwohl sie wusste, dass dieser Mann ein Mörder war, womöglich ein Sadist, traf sie dieser Blick bis ins Mark, der Blick eines Sterbenden. Sein Atem ging immer schneller, es wirkte, als werde die Luft aus ihm hinausgepumpt statt in ihn hinein. Kuschke wollte etwas sagen, aber er konnte nicht. Und dann, bevor Charly ihn auffangen konnte, sackte der schwere Mann zur Seite und kippte mit dem Kopf aufs Pflaster.
    84
    I m Präsidium lief der Betrieb auf Sparflamme. Die halbe Besatzung der Burg schien sich noch in Pankow auf dem Friedhof herumzutreiben oder gemeinsam irgendwo Mittag zu essen. Rath war froh, die Biege gemacht zu haben, gleich nachdem Kuhfelds Sarg in der Erde verschwunden war. Noch während die Polizeikapelle spielte, hatte er sich unauffällig verdrückt, bevor Böhm ihn zwischen die Finger bekommen konnte, hatte den Friedhof verlassen, sich in den Buick gesetzt, eine Zigarette angesteckt und war zum Alex gefahren.
    Die Sitte wirkte fast so

Weitere Kostenlose Bücher