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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Rath.
    Er verließ Tornows Wohnung auf dem schnellsten Weg, schlug die Tür zu und rannte die Treppen hinunter, bis er wieder an seinem Buick war, wo Kirie ihn schwanzwedelnd empfing.
    117
    D er Weg nach Zehlendorf runter war Rath noch nie so lang erschienen. Erst eine gute halbe Stunde später stieg er an der Spandauer Straße aus dem Auto und nahm den Hund an die Leine. Kirie schien sich auf einen kleinen Spaziergang zu freuen, obwohl am Himmel schon einige Wolken aufzogen. Auf der anderen Straßenseite führte ein Weg zu Onkel Toms Hütte, einem Ausflugslokal, das dem ganzen Viertel seinen Namen gegeben hatte, rechts begann der Grunewald. Ein verwittertes Holzschild wies den Weg zur Rodelbahn. Die entpuppte sich als eine größere Lichtung im Kiefernwald, an einem leidlich abschüssigen Hang gelegen. Lediglich eine Sprungschanze deutete die winterliche Nutzung an.
    Jetzt führten nur ein paar Männer ihre Hunde spazieren. Von Charly keine Spur.
    Rath rief ihren Namen laut in die Landschaft und lauschte. Keine Antwort.
    Einer der Hundehalter steuerte Rath und Kirie an, brachte seinen Schäferhund mit einem knappen »Sitz, Bismarck!« zum Stehen, was Rath neidisch beobachtete, und fragte: »Kann ick Ihnen vielleicht helfen?« Während er Rath musterte, hielt der Mann seinen Kopf ein wenig schräg, und sein Hund tat es ihm gleich.
    »Ich suche eine Frau«, antwortete Rath wahrheitsgemäß.
    »Hier im Wald?« Der Mann schaute den Hügel hinauf. »Wenn ick Ihnen ’nen Rat geben darf: Gebense lieber ’ne Annongze in der Be-Zett auf.«
    Der Witzbold lachte über seinen Witz und zog seinen Hund weiter. Rath war zu verdutzt, um ihm eine passende Antwort zu geben. Nach ein paar Metern blieb der Mann wieder stehen.
    »Warten Sie«, sagte er, obwohl Rath sich keinen Meter bewegt hatte seit ihrem kurzen Wortwechsel, »da fällt mir gerade was ein. Da is ’ne junge Dame durch die Siedlung geschlurft, heute Morgen in aller Herrgottsfrühe. Ich habse jesehen, als ich gerade aufgestanden bin, da lief sie an meinem Fenster vorbei. Machte einen – wie soll ich sagen – eher hilflosen Eindruck. Suchense vielleicht die?«
    »Hilflos, das könnte sie sein«, sagte Rath und dachte an ­Charlys Zustand,der schlimmer zu sein schien als befürchtet. Tornow hatte womöglich die Wahrheit gesagt: Sie hatten versucht, sie mit Schlafentzug etwas auskunftsfreudiger zu machen. »Wo war das?«, fragte er. »Wo haben Sie diese Frau gesehen?«
    »Riemeisterstraße«, sagte der Mann, »da wohne ich. Direkt am U-Bahnhof.«
    »Vielen Dank.«
    Rath scheuchte Kirie, die sichtlich enttäuscht war, dass es nicht weiter ins Gelände ging, zurück zum Auto und fuhr in die Siedlung, die die GEHAG hier in wenigen Jahren aus dem Boden gestampft hatte – und an einigen Ecken noch stampfte, wie Sandhaufen oder Bretterstapel vor den Häusern verrieten. Einige waren noch nicht verputzt, in den wenigsten Gärten war der Rasen eingesät. Am Straßenrand standen Kiefern und Birken, so hoch, dass sie wohl schon vor dem Bau der Siedlung hier gewachsen sein mussten. Rath parkte direkt vor dem U-Bahnhof. Das Café gegenüber hielt sich für so vornehm, dass es sich Conditorei nannte.
    Er holte den Hund aus dem Auto, und kaum hatte er die Leine in der Hand, spürte er einen Zug in der Lederschlaufe: Kirie hatte irgendwo Witterung aufgenommen und zog an der Leine. Der Hund wirkte plötzlich aufgeregt, hielt die Nase über dem Boden, schnupperte konzentriert und zerrte Rath zu einem modernen Backsteinportal, dem Eingang des U-Bahnhofs.
    »Wenn das wieder ein totes Tier ist!«, sagte Rath im strengen Tonfall eines Oberlehrers.
    Kirie nahm keine Notiz davon, sie riss ihr Herrchen geradezu die Stufen zum Bahnsteig hinunter; Rath musste aufpassen, um nicht die Treppe hinunterzufallen.
    Und dann sah er sie. Da lag sie, zusammengekauert auf einer Bank. Charly in ihrem geblümten Sommerkleid.
    Die anderen Fahrgäste um sie herum nahmen kaum Notiz von ihr, bedachten sie höchstens mit einem mehr verächtlichen als mitleidigen Blick, so wie man ihn einem Obdachlosen zuwirft.
    Sie war es, kein Zweifel. Kirie musste sie oben schon erschnuppert haben.
    Bis zum U-Bahnhof hatte sie es also noch geschafft. Und war dann beim Warten auf die nächste Bahn eingeschlafen. Und die Berliner, gewohnt, jeden seiner Wege gehen zu lassen und sich nirgends einzumischen, hatten sie weiterschlafen lassen. Nicht einmal der Lärm der nahen Baustelle hatte sie wecken können. Dafür aber Kiries

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