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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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tatsächlich eingenickt sein. Er wachte auf aus wirren Träumen, weil sein Wangenknochen schmerzte, das harte Holz des Tisches gegen seine rechte Gesichtshälfte drückte. Einen kurzen Augenblick wusste er nicht, wo er sich befand, dann fiel ihm alles wieder ein, und er setzte sich mit einem Ruck auf, was auch Kirie aus ihrem leichten Hundeschlaf schrecken ließ.
    Die Küchenuhr zeigte vier Minuten vor sechs. Rath stand auf. Das Bett war leer, natürlich.
    Ein wenig Geduld, hatte Tornow empfohlen, dir bleibt nichts anderes übrig als zu warten.
    Rath hatte genug gewartet, er musste etwas tun. Nach einer Katzenwäsche, einer schnellen Rasur, einer Tasse schwarzem Kaffee, einem letzten Cognac und zwei Zigaretten schnappte er sich Hutund Autoschlüssel, leinte den Hund an und machte sich auf den Weg.
    Der Verkehr war noch dünn, so schaffte er es in Rekordzeit von Moabit bis in die Leuthener Straße. Oben in der Dachwohnung brannte bereits Licht, dort schien der Alltag nach dem üblichen Zeitplan weiterzugehen, und für diese Uhrzeit stand auf dem Plan: Kommissaranwärter Sebastian Tornow macht sich fertig zum Dienst.
    Rath ließ Kirie im Wagen und stieg die Treppe hoch bis unters Dach. Tornow band sich gerade die Krawatte, als er öffnete, ansonsten machte er wieder einmal einen Eindruck wie aus dem Ei gepellt, so wie man es von ihm kannte.
    »Du?«, sagte er, schien aber nicht wirklich überrascht zu sein, machte bereitwillig Platz, als Rath sich an ihm vorbei in die Dachwohnung drängte. Tornow schloss die Tür, trat vor den Spiegel an der Garderobe und band seelenruhig seine Krawatte weiter. Rath knallte die Morgenzeitung auf den Garderobenschrank, die er unterwegs besorgt hatte. Die Vossische . Die passende Seite hatte er schon aufgeschlagen.
    »Was soll ich damit?«, fragte Tornow und richtete den Krawattenknoten. Ein perfekter Kentknoten.
    »Da steht, dass ein gewisser Abraham Goldstein gestern von der Polizei kassiert wurde und mehrerer Morde beschuldigt wird«, sagte Rath.
    »Schon vergessen: Ich war dabei.«
    »Mittlerweile kommt es mir vor, als hätte ich das nur geträumt. Was ist mit deinem Teil unserer Abmachung? Wo ist Charly?«
    Tornow zuckte die Achseln. »Hier ist sie jedenfalls nicht, solltest du das geglaubt haben.« Er lächelte, doch für Rath war dieses Lächeln mittlerweile nur noch ein Grinsen, ein provozierendes Grinsen.
    »Ich finde das alles andere als lustig oder spaßig«, sagte er. »Bislang habe ich nach deinen Regeln gespielt; sollte ich herausfinden, dass ihr irgendetwas passiert ist oder du mich über den Tisch gezogen hast, dann werde ich zu anderen Mitteln greifen!«
    »Was soll das werden? Willst du mir mit Johann Marlow drohen und deinen Gangsterfreunden? Glaub mir, die haben auch bald abgewirtschaftet!«
    Rath erstarrte. Woher wusste Tornow von seiner Verbindung zu Marlow? Hatte der rote Hugo geplaudert?
    »Lenk nicht ab«, sagte er, »sag mir endlich, wo sie ist und warum ihr sie immer noch festhaltet!«
    »Wir halten sie doch nicht mehr fest.« Tornow schaute entrüstet. »Seit heute Morgen fünf Uhr ist sie frei. Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich gedulden.« Er schaute Rath mitleidig an. »Hat sie sich noch nicht bei dir gemeldet?«
    »Sie ist noch nicht zuhause, das ist alles, was ich weiß.«
    »Also, wir haben sie natürlich nicht bis vor die Haustür gefahren. Den Weg zur nächsten Bushaltestelle muss sie schon selber finden.«
    »Wo ist sie? Wo habt ihr sie hingeschleppt?«
    »Was heißt geschleppt? Meines Wissens wurde sie chauffiert.«
    Es war unglaublich, Tornow lächelte immer noch.
    »Wo?«
    Rath spürte, wie die Wut in ihm sich immer wilder gegen die Fesseln wehrte, die er ihr angelegt hatte.
    »Du meinst es wirklich ernst, was?« Tornow machte ein generöses Gesicht. »Na gut«, sagte er, »Onkel Toms Hütte. Da gibt’s eine Rodelbahn am Rande des Grunewalds. Vielleicht schaust du mal da.« Er grinste. »Vielleicht ist sie ja eingeschlafen mitten auf der Lichtung. Müde genug ist sie jedenfalls, das kann ich dir sagen.«
    Jetzt konnte Rath nicht länger an sich halten; er schlug seine Rechte mitten in dieses Grinsen.
    Tornow schaute ihn entgeistert an und beugte sich nach vorne, um sein schneeweißes Hemd nicht zu besudeln mit dem Blut, das ihm vom Gesicht tropfte.
    »Du bist wirklich ein Arschloch, Gereon Rath«, sagte er und spuckte Blut. »Ist das der Dank für meine Hilfe?«
    »Der Dank für deine Hilfe ist, dass ich nur einmal zugeschlagen habe«, sagte

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