Goldstein
Wohnung oder anderswo, teilen Sie ihr bitte mit, ein Hermann Josef Maltritz lässt nicht mit sich spaßen.« Zur Unterstreichung des Gesagten stemmte er die Hände in die Seiten. »Es ist mir gleich, wer mir das Geld bezahlt, ob Fräulein Ritter selbst oder Sie oder meinetwegen der Kaiser von China, aber wenn Sie mir heute Abend nicht ohne Diskussion zwölf Mark fünfzig hinlegen, dann werde ich andere Saiten aufziehen! Wissen Sie, wie schnell ich einen Räumungsbefehl besorgt habe?«
Zwölf fünfzig, was für ein lächerlicher Betrag! Und dafür so ein Aufstand! »Überstürzen Sie mal nichts«, sagte Rath, »ich besorge das Geld. Heute noch gehe ich zur Bank.«
»Wollen Sie mich verhohnepipeln?«
»Nichts läge mir ferner.«
»Dann lesen Sie wohl keine Zeitung. Bei der Bank bekommen Sie Ihr Geld jedenfalls nicht, ich hoffe, Sie haben noch eine andere Geldquelle.« Er musterte Rath. »Ist mir auch egal, wie Sie’s beschaffen. Die Hauptsache ist, dass Sie es tun!«
Als der Mann die Treppe hinuntergegangen war, schaute Rath nach der Vossischen, die noch in seiner Manteltasche steckte. Er hatte sie nur wegen des Goldsteinartikels gekauft, den er Tornow unter die Nase gerieben hatte, alles andere hatte ihn nicht interessiert.
Auf den Titel aber hatte es ein anderes Thema geschafft. Die Krise der deutschen Banken.
Rath überflog den Artikel und blätterte sich weiter durch nach innen. Der dämliche Hauswart hatte auch noch recht! Heute noch Geld von der Bank zu holen, das war ein Ding der Unmöglichkeit.
Die Danatbank war am Wochenende ins Schlingern geraten und konnte ihre Kunden nicht mehr auszahlen, die Darmstädter- und Nationalbank, eine durch und durch seriöse Bank. Rath hatte sein Konto beim Postscheckamt, aber für die anderen Banken sah es wohl auch nicht rosig aus. Unter dem Ansturm der Kunden, die allesamt Angst um ihre Einlagen hatten und ihr Geld abheben wollten, hatten die meisten ihre Schalter geschlossen – was die Panik unter den Kunden natürlich nur vergrößerte. Rath spürte, wie sich auch in ihm die Angst um seine paar tausend Mark meldete, seine Rückversicherung für schlechte Tage. Als ob er nicht genügend Ärger am Hals hätte!
Die Danatbank jedenfalls hatte es so schlimm getroffen, dass die Reichsregierung die Garantie für alle Einlagen übernommen hatte. Sämtliche anderen deutschen Großbanken, so schrieb die alte Tante Voss, haben in den Besprechungen mit der Reichsregierung ausdrücklich erklärt, daß für sie die Übernahme irgendwelcher Reichsgarantien oder ähnlicher Maßnahmen überflüssig ist, daß sie in vollem Umfang liquide und in der Lage sind, allen Anforderungen zu entsprechen.
Dennoch waren für die nächsten Tage Bankenfeiertage ausgerufen, an denen sämtliche Schalter geschlossen bleiben sollten. Ihr großspurigen Arschlöcher, dachte Rath, der nicht viel übrig hatte für das seltsame Geschäft mit dem Geld, das er noch nie verstanden hatte. Ebenso wenig wie diese ganze verdammte Wirtschaftskrise, die jetzt offensichtlich auch die Banken mit in ihren Strudel zog. Vor knapp zwei Jahren waren an der New Yorker Börse eine ganze Menge Aktien in den Keller gegangen. Einige Spekulanten waren aus den Wolkenkratzern gesprungen, von denen New York ja genügend bereithielt. Warum aber auch noch andere in Mitleidenschaft gezogen wurden, die mit der Börse nichts zu tun hatten, brave deutsche Firmen, ja sogar deutsche Staatsdiener wie er selbst, denen die Bezüge gekürzt wurden, das war ihm immer ein Rätsel geblieben.
Dem Wirtschaftskommentator der Vossischen offensichtlich auch. Was uns fehlt , hatte er seinen Leitartikel überschrieben. Was ist geschehen? Die Fabriken, auf denen Deutschlands wirtschaftliche Kraft beruht, stehen heute wie gestern, wie sie vor vier Wochen standen. Die deutsche Erde läßt die Ernte reifen wie jedes Jahr, besser sogar als in vielen anderen Jahren. Unsere Schätze von Kohle und Eisen ruhen weiter ungehoben unter der Erde. In allem diesen ist Deutschland nicht ärmer. Woher der Alarm? Es fehlt der Betriebsstoff, um den Mechanismus der deutschen Wirtschaft, der als solcher genauso kraftvoll ist wie je, in Bewegung zu setzen. Es fehlt das Geld.
Wie wahr, dachte Rath, es fehlt das Geld. Hat das viel zu vielen nicht schon immer gefehlt?
Die Katastrophe ist da, schrieb der Journalist weiter, es wäre unmännlich, wollte man vor dem einzigartigen Ernst der Stunde noch die Augen schließen. Der Zusammenbruch einer führenden deutschen
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