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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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für Zufall, und das war der Fehler.
    Fat Moe hatte seinen Aufstieg der letzten Jahre nicht zuletzt der sicheren Hand und dem diskreten Vorgehen von Abe Goldstein zu verdanken. Wenn es unumgänglich und notwendig geworden war, dass jemand sterben musste, dann rief man Handsome Abe. Goldstein hatte keinen der Menschen je gekannt, die auf seiner Liste standen, meistens war er drüben in Manhattan unterwegs, selten in Brooklyn und nie in Williamsburg. Er wusste nie, warum sie sterben mussten, er wusste nur, dass sie sterben mussten. Und er erledigte seine Aufgabe gewissenhaft, schnell und ohne jede Gefühlsregung. Immer benutzte er eine Remington 51, bei jedem Auftrag eine andere, die er verschwinden ließ, sobald die Sache erledigt war. Niemals würden sie eine Waffe bei ihm finden, mit der jemand erschossen worden war, und niemals würden sie ihm etwas nachweisen können.
    Den Weg zurück zur U-Bahn ging er langsamer, als er gekommen war, ein Fels der Ruhe inmitten des geschäftigen Gewimmels. An einem Wagen blieb er stehen und kostete von den Sauerkirschen, spuckte die Steine aufs Pflaster, nickte zufrieden und kaufte dem Händler eine Tüte ab. Die vorbeihastenden Menschen merkten es nicht, aber da ging jetzt ein anderer Mann über die Grenadierstraße als der, der vor einer halben Stunde gekommen war. Erst jetzt fühlte sich Abraham Goldstein wieder wie ein vollwertiger Mensch, fühlte sich bereit und gewappnet, die Adresse aufzusuchen, deretwegen er überhaupt in diese Stadt gekommen war. Hoffentlich war es nicht schon zu spät, er hatte über einen Tag verloren.
    Er hatte ein bisschen Geld ausgeben müssen, um dem Bullen das Auto demolieren zu lassen, aber das war sinnvoll angelegt. Genauso wie das Kleid, das er Marion versprochen hatte. Er durfte ihre Verabredung nicht vergessen. Kurfürstendamm. Hörte sich nach einer teuren Gegend an, aber das hatte sie verdient, ohne sie säße er schließlich wie eine Ratte in der Falle in diesem beschissenen Hotel. Nur dank ihrer Hilfe, dank ihrer Schlüssel, konnte er sich in dieser Stadt so frei bewegen wie zuhause, nein, freier noch. Weil er alles machen konnte, wonach ihm der Sinn stand, wirklich alles. Denn die Polizei selbst würde bezeugen können, dass Abraham Goldstein den ganzen Tag brav auf seinem Hotelzimmer gehockt hatte. Das Einzige, was er nicht hinterlassen durfte, waren Fingerabdrücke.
    22
    E s war Justizrat Weber anzusehen, dass ihm die Sache lästig war, dass ihm das Ganze nicht in den Kram passte. Lustlos blätterte er durch die Papiere, die ihm der Schupo auf den Tisch gelegt hatte.
    »Hier ist doch noch nichts Verwertbares drin«, sagte er schließlich, »keine einzige Aussage von der Beschuldigten, nicht einmal ihre Personalien, so geht das nicht!«
    »Wennse nix sagt, kann ick ooch keene Personalien aufnehmen«, meinte der Wachtmeister. Das Mädchen, das mit Handschellen an ihn gekettet war, stierte ausdruckslos in die Gegend. Bildete Charly sich das nur ein, oder zitterte die Kleine? Eine Vertreterin des Jugendamtes Friedrichshain stand daneben wie bestellt und nicht abgeholt.
    »Vielleicht ist sie ja taubstumm, Wachtmeister.«
    Der Schupo schüttelte den Kopf. »Ne, das kann ich Ihnen garantieren, das ist sie bestimmt nicht. Schimpfen kannse. Nur seit wir sie vernehmen wollen, sagtse keinen Ton mehr.«
    Weber schaute auf die Uhr. »Fräulein Ritter, kümmern Sie sich doch um das Mädchen«, sagte er und stand auf. »Ich komme nach meinem Termin mit Doktor Keller noch mal rein für den Haftbefehl. Bereiten Sie bis dahin alles vor, dürfte doch nicht so schwer sein, wenigstens die Personalien von dem Mädel herauszubekommen. Der sonstige Sachverhalt scheint ja ziemlich klar zu sein, wie ich das hier sehe, ist doch Routine.«
    Noch während er diese Sätze sprach, hatte Weber nach Hut und Mantel gegriffen, nun verschwand er mit einem kurzen Tippen an die Hutkrempe durch die Tür und hinterließ ein verlegenes Schweigen.
    Da stand sie also, die Routine. Ein schweigsames Mädchen, das auf Charly eher einen verschüchterten Eindruck machte, und das in der U-Bahn auf Polizeibeamte losgegangen sein sollte. Routine. Für Charly war nichts in diesem Beruf Routine und sollte es auch niemals werden, das hatte sie sich geschworen.
    »Dann lassen Sie uns mal anfangen«, sagte sie und setzte sich auf den Stuhl hinter Webers Schreibtisch. Dem Blick der Stenotypistin nach zu urteilen, hatte Charly damit mindestens den Tatbestand der Amtsanmaßung erfüllt. Der

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