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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Schupo, das Mädchen und die Frau von der Fürsorge standen immer noch mehr oder weniger erwartungsvoll vor dem Schreibtisch. »Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Charly und wies auf die Stuhlreihe.
    Sie überflog das Protokoll des 81. Polizeireviers, das Weber wegen der fehlenden Personalien derart harsch kritisiert hatte. Demnach sollte die Delinquentin, nachdem der Schaffner sie ohne Fahrschein angetroffen hatte, in der U-Bahn handgreiflich geworden sein. Erst mithilfe mehrerer Fahrgäste hatte man die Widerspenstige überwältigen und am U-Bahnhof Petersburger Straße an die Polizei übergeben können. Auch gegen die Vollzugsbeamten hatte sie sich heftig gewehrt. Die Beamten hatten ihr Handschellen angelegt und ein Messer bei ihr gefunden, ein Schnappmesser mit Blutspuren an der Klinge. Dazu eine nur notdürftig verbundene Schnittwunde an der linken Hand. Das allein reichte schon, um eine vorübergehende Festnahme zu rechtfertigen. Zeugen aus der U-Bahn hatten überdies von einem Polizisten mit blutigem Gesicht erzählt, der das Mädchen im U-Bahnhof Strausberger Platz verfolgt habe. Diese Geschichte allerdings hatten die Beamten bislang nicht bestätigen können. Weder hatte sich ein verwundeter Schupo gemeldet, der einen solchen Vorfall protokolliert hatte, noch war aus dem Mädchen irgendeine Stellungnahme zu diesen Aussagen herauszubekommen. Wenn man dem Protokoll glauben sollte, hatte die Unbekannte außer wilden Flüchen und Beschimpfungen kein einziges Wort von sich gegeben, jedenfalls nicht auf die Fragen der Beamten geantwortet. Ziemlich rätselhaft das Ganze also, doch für einen Haftbefehl und eine Strafanzeige reichten allein schon die zahlreichen Tritte und Faustschläge gegen die Polizeibeamten aus, die in der Akte penibel aufgezählt waren. Widerstand gegen Vollzugsbeamte war in Preußen kein Kavaliersdelikt.
    Charly schaute von der Akte auf. Die Stenotypistin wartete mit gespitztem Bleistift; die Jugendfürsorgerin und der Schupo saßen. Das Mädchen war stehen geblieben.
    »Sie dürfen auch Platz nehmen«, sagte Charly.
    Das Mädchen bewegte sich keinen Millimeter, nur die Augen flackerten unruhig.
    »Soll ich lieber Du sagen?«, fragte Charly. »Wie alt bist du denn? Willst du dich nicht auch setzen?«
    Das Mädchen starrte zum Fenster hinaus auf die Fassaden der Magdalenenstraße.
    »Gebense sich keine Mühe«, meinte der Schupo, »die sagt keinen Ton, und wennse sich auf den Kopf stellen, det kenn ick schon.«
    Charly ignorierte den Schupo und sprach weiter mit dem Mädchen. »Wir müssen aber wenigstens wissen, wie du heißt«, sagte sie, »und wo du wohnst.«
    Schweigen.
    »Soll ich schon mitschreiben?«, fragte die Stenotypistin.
    Charly schüttelte den Kopf.
    »Wennse meine Meinung hören wollen«, meldete sich der Uniformierte wieder: »Das ist eine von den Gören, die sich in der alten Achsenfabrik rumtreiben, drüben am Schlachthof, das muss ich die nicht erst fragen, um das zu wissen.«
    »Sie kennen sich aber gut aus, Wachtmeister.«
    »Ick kenne doch mein Revier. Und ich erkenne eine Ausreißerin.«
    »Aber den Namen der Delinquentin können Sie mir auch nicht nennen.«
    »Wen interessieren bei dem Abschaum schon Namen?«
    Die Frau von der Fürsorge zuckte zusammen, sagte aber nichts. Die Stenotypistin schien sich immer noch nicht sicher, ob sie mitschreiben sollte, und schaute unschlüssig von einem zum anderen.
    »Herr Wachtmeister, mit dieser Einstellung wundert es mich überhaupt nicht, dass Sie nicht einmal in der Lage waren, die Personalien der Beschuldigten beizubringen. Als Beamter der preußischen Polizei sollten Sie mehr Sachlichkeit walten lassen.«
    »Wenn Sie so’n Gör befragen, und die sagt keinen Ton, aber tritt und kratzt, dann möcht ick mal sehen, wie sachlich Sie bleiben!«
    »Vielleicht haben Sie das Mädchen nicht behutsam genug befragt. Wenn ich sehe, wie Sie sich hier aufführen ...«
    »Wie ick mir aufführe? Wer muss sich denn von solchen asozialen Rotzgören wie der hier Tag für Tag beschimpfen lassen, nur weil er Uniform trägt? Wer muss denn Angst haben, dass ein paarvon denen sich zusammenrotten und einen zu Klump schlagen? Ist doch allet schon passiert! Wer trägt denn jeden Tag seine Haut zu Markte, Sie oder ich?«
    Charly musste sich zusammenreißen. Sie schlug einen schärferen Ton an, blieb dabei aber freundlich. »Öffnen Sie bitte die Handfesseln, Wachtmeister«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Sie sollen die Handfesseln des Mädchens öffnen,

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