Goldstein
der sagen sollte: Jetzt geht es los.
»Der Einsatz im KaDeWe«, sagte er und hörte, wie der Bleistift über das Papier zu kratzen begann, »da haben sich noch ein paar ... Unstimmigkeiten ergeben.« Tornow sagte nichts, er wartete auf eine konkrete Frage. »Welche Kollegen«, fragte Lange, »befanden sich zum Zeitpunkt des tödlichen Zwischenfalls in der vierten Etage des Kaufhauses?«
»Diese Frage haben Sie mir doch gestern schon gestellt.«
»Es ist eine Frage von höchster Wichtigkeit. Wenn Sie bitte antworten wollen.«
»Nun, wie ich gestern schon sagte, habe ich pro Etage zwei Beamte abgestellt, nachdem die Einbrecher sich in den Aufzug hatten retten können und nach oben gefahren waren. In der vierten waren das Hauptwachtmeister Kuschke und Oberwachtmeister Hansen.«
»Wo befanden sich die Beamten genau?«
»Hansen bewachte die Aufzüge und das Treppenhaus, Kuschke durchkämmte die Etage. Dabei entdeckte er einen der Einbrecher draußen auf der Brüstung. Der Junge versuchte, mit einer waghalsigen Kletteraktion zu entkommen und stürzte dabei in die Tiefe. Punkt.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wo befand Kuschke sich genau, als der Junge hinunterstürzte?«
»Das müssen Sie ihn schon selbst fragen.«
»Das werde ich auch. Aber Sie haben diesen Einsatz geleitet und den Bericht verfasst, ich möchte Ihre Einschätzung hören.«
»Kuschke war draußen auf der Galerie, als der Junge fiel, das wissen Sie doch schon. Er hat noch versucht, ihm zu helfen, aber ... Sie wissen ja selbst, dass er zu spät gekommen ist.«
»Wie würden Sie Hauptwachtmeister Kuschke einschätzen? Als Beamten und als Menschen?«
»Für mich sind das keine getrennten Kategorien«, sagte Tornow. »Hauptwachtmeister Kuschke ist ein erfahrener Polizist, ein Mann, der auch in brenzligen Situationen immer die Nerven behält.«
»Wie würden Sie seine Nervenstärke beschreiben?«
»Na wie wohl? Kuschke hat Mut. Er hat Eier, wenn Sie so wollen.«
Wieder musste Hilda Steffens ein Kichern unterdrücken.
»Er ist also keiner, der wegläuft, wenn es ernst wird.«
»So ist es.«
»Und die andere Möglichkeit?«
»Wie meinen Sie?«
»Wenn es gefährlich wird, gibt es zwei mögliche Reaktionen: Flucht und Angriff.«
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen?«
»Neigt Hauptwachtmeister Kuschke ab und zu dazu, die Beherrschung zu verlieren und – wie soll ich sagen – unnötig brutal vorzugehen?«
»In keinster Weise. Kuschke ist einer der besonnensten Beamten in meiner Truppe.«
Lange schlug eine Mappe auf. »Dann wissen Sie nichts von ...«, begann er und las in der Akte. »Ach so, ich sehe gerade, das war lange vor Ihrer Zeit.«
»Was bitte?«
»Das tut jetzt nichts zur Sache. Zurück zum aktuellen Fall.« Lange klappte die Akte wieder zu. »Gibt es Zeugen für den Todessturz? Außer Hauptwachtmeister Kuschke?«
Sollte Tornow durch Langes Manöver verunsichert worden sein, ließ er es sich nicht anmerken. »Auch das habe ich Ihnen doch schon erzählt«, sagte er ruhig. »Von meinen Leuten hat niemand sonst den Sturz beobachtet. Auch keiner der Passanten, die wir auf der Passauer Straße befragt haben.«
»Und der andere Einbrecher?«
»Wie?«
»Mehrere Beamte haben ausgesagt, der andere Junge habe bei der Leiche seines Kumpans gehockt, bevor er die Flucht ergriffen hat. Vielleicht hat der etwas gesehen.«
»Vielleicht. Aber um ihn das zu fragen, müssten Sie ihn erst mal finden.«
Lange nickte. »Noch mal zur Situation auf der Galerie: Hauptwachtmeister Kuschke stand also oben, kletterte über die Brüstung und wollte dem Jungen helfen. Hat der die Hilfe vielleicht abgelehnt?«
»Wie?«
»Könnte er beispielsweise versucht haben, sich Hauptwachtmeister Kuschke vom Leib zu halten, könnte er ihn mit seinen Fäusten traktiert haben?«
Tornow schwieg für einen Moment, ein gutes Zeichen. »Nicht dass ich wüsste«, sagte er dann, »aber da fragen Sie den Hauptwachtmeister lieber selbst. Ich wüsste aber auch nicht, wie es möglich sein sollte, jemanden zu schlagen, wenn man mit beiden Händen über dem Abgrund hängt. Wie kommen Sie auf diese Idee?«
Lange ging auf diese Frage nicht ein, er schwieg bedeutsam und machte eine Notiz unter den Aktendeckel. Eigentlich malte er nur das Haus vom Nikolaus unter eines der gestrigen Verhörprotokolle, aber das kurze Kritzeln verfehlte seine Wirkung nicht, den allzu selbstsicheren Polizeileutnant doch ein wenig zu verunsichern.
Natürlich stellte sich ein
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