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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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bevor ich mit der Befragung beginne. Das ist doch keine Schwerverbrecherin.«
    Der Wachtmeister zuckte mit den Achseln und kramte nach dem Schlüssel. »Sie sind der Boss.«
    Er sagte das so, als sehe er das eigentlich ganz anders, schloss die Handschellen aber ohne Murren auf. Nichts passierte, das Mädchen blieb ruhig.
    »Sehen Sie«, meinte Charly.
    »Na, Sie habense heute Mittag nicht erlebt!«
    Der Wachtmeister klemmte die Handschellen an den Gürtel seiner Uniform.
    »Ich würde das Mädchen gern in Ihrer Abwesenheit befragen«, sagte Charly.
    »Wie bitte?«
    »Ich glaube, Sie machen ihr Angst. Sie oder Ihre Uniform. Wenn Sie so freundlich wären ...«
    Der Wachtmeister zuckte noch einmal die Achseln und stand auf. »Wennse meenen. Sie sind der Boss.«
    Charly schaute die Stenotypistin an, die keine Anstalten machte, aufzustehen. »Ich denke, es ist besser, wir verzichten zunächst auf eine Mitschrift«, sagte sie, und die Stenotypistin steckte ihren Block ein.
    Auch die Frau vom Jugendamt stand auf und ging zur Tür. »Sie haben recht«, meinte sie, »versuchen Sie mal Ihr Glück allein. Uns traut sie ja allen nicht. Denkt wahrscheinlich, ich bin nur hier, um sie ins Heim zu stecken. Dabei habe ich ihr erklärt, warum ich mitgekommen bin.«
    »Aber Sie brauchen doch wenigstens einen Zeugen«, mischte sich der Wachtmeister wieder ein.
    »Es geht hier nicht um eine offizielle Befragung. Es geht darum, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, um eine Befragung überhaupt erst zu ermöglichen. Ich werde Sie wieder hereinrufen, wenn wir so weit sind.«
    Charly wartete noch einen Moment, bis die Tür geschlossen war.
    »Nun setz dich doch«, sagte sie, »oder willst du wirklich die ganze Zeit stehen bleiben?« Das Mädchen zögerte einen Moment und setzte sich dann auf einen Stuhl. Charly schaute sie an, konnte ihren Blick aber nicht einfangen. Sie schob die Juno-Schachtel über den Tisch. »Rauchst du?«, fragte sie. Wieder ein kurzes Zögern, dann siegte die Sucht; das Mädchen griff zu.
    »Du redest nicht gerne, was?«, sagte Charly, nachdem sie dem Mädchen Feuer gegeben hatte. »Hast Angst, etwas Falsches zu sagen ...« Charly steckte sich ebenfalls eine Juno an. »Du musst nicht sprechen, wenn du nicht willst. Kannst auch nicken oder den Kopf schütteln. Es wird jedenfalls nichts aufgeschrieben von dem, was du sagst. Bleibt alles unter uns.«
    Das Mädchen zog gierig an der Zigarette und vermied es, Charly in die Augen zu schauen. Sie sagte keinen Ton.
    »Tut sie weh, deine Verletzung da?« Charly zeigte auf den frischen Verband. Um die Wunde untersuchen und neu bandagieren zu können, hatten mehrere Beamte das Mädchen festhalten müssen, so stand es im Protokoll. Kein Wunder, die Panik in diesen Augen! »Wie ist denn das passiert mit deiner Hand?«
    Das Mädchen krampfte sich auf dem Stuhl zusammen, und Charly merkte, dass sie die falsche Frage gestellt hatte.
    »Du musst keine Angst haben, wir werden dir hier nicht den Kopf abreißen, nur weil du dich gegen ein paar Polizisten gewehrt hast. Wir wollen dir helfen.«
    Das Mädchen schaute aus dem Fenster und schwieg.
    »Hattest kein Geld für Fahrscheine, nicht wahr?«
    Schweigen.
    »Weißt du, ich bin auch schon mal von einem Schaffner erwischt worden, da war ich ungefähr so alt wie du. Hab damals ziemlichen Ärger zuhause bekommen, aber die Welt ist davon dann doch nicht untergegangen.«
    Das Mädchen schwieg immer noch, und es sah nicht so aus, als würde sich das in absehbarer Zeit ändern. Charly konnte sich vorstellen, wie ein einfacher Schupo bei diesem Verhalten die Geduldverlor, auch sie selbst stand mittlerweile kurz davor, das verstockte Mädchen da vor ihr auf dem Stuhl anzubrüllen oder wachzurütteln.
    »Du musst uns schon helfen, wenn wir dir helfen sollen«, sagte sie. »Wenn du uns deinen Namen nennst und sagst, wo du wohnst, dann können wir dich nach Hause schicken. Sonst müssen wir dich einsperren, bis wir das herausgefunden haben.« Charly horchte ihren Worten nach, der ersten Drohung, die sie ausgesprochen hatte, doch sie schien das Mädchen genauso wenig zu beeindrucken wie alles andere. »Ich möchte dich nicht einsperren, und ich denke, du willst das auch nicht. Aber dann musst du schon den Mund aufmachen.«
    Das Mädchen schien nachzudenken. Immerhin! Sie hatte etwas angestoßen. Charly hoffte schon, gleich die ersten Worte zu hören, da brach draußen auf dem Gang ein lauter Tumult los. Stimmengewirr, ein lauter Schrei.

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