Goldstein
schauten ihn an. Erwartungsvoll. Er versuchte daran zu denken, was sie ihm gesagt hatten, wie er atmen sollte, wie er zielen sollte über den gestreckten Arm, dochdas Gefühl der Waffe in seiner Hand war stärker als jeder Gedanke. Das Gewicht des Browning gab ihm Kraft und Stärke, viel mehr als ein hagerer, zwölfjähriger Jungenkörper erwarten konnte. Die Waffe lag gut in seiner Hand, er fühlte sich anders als noch wenige Augenblicke zuvor, groß und stark, einer von ihnen. Wie leicht sich der Abzug bewegen ließ, nur mit der Fingerspitze leise, ganz leise nach hinten, bis er den Druckpunkt spürte. Die Hochbahn näherte sich der Brücke, und als der Zug genau über ihn hinwegdonnerte, drückte Abe ab. Er wusste, wie laut ein Schuss war, und war doch überrascht, wie sehr es in seinen Ohren dröhnte, noch überraschter aber von der Stärke des Rückstoßes, der ihm die Hand brutal wegriss. Das Lachen der anderen übertönte sogar den eisernen Donner der Jamaica Line. Er hatte nicht einmal den Wagen getroffen, auf dessen Fahrertür sie die Zielscheibe gemalt hatten, ein rostiger Ford, den irgendeiner hier unter der Brücke hatte stehen lassen. Angeblich war einer von O’Flannagans Leuten in diesem Auto erschossen worden, ob die Einschusslöcher jedoch nicht alle nur von ihren Schießübungen stammten, konnte niemand mehr sagen.
Die Letzten lachten immer noch, die Bahn hatte die Brücke noch nicht verlassen, da hielt Abe noch einmal auf den durchlöcherten Ford, diesmal auf den Rückstoß vorbereitet, diesmal auf alles vorbereitet. Er zwang der schweren Pistole seinen Willen auf, machte sie sich untertan. Ganz ruhig zielte er, merkte, wie er mit dem Browning eins wurde, die Waffe war nun sein verlängerter Arm, und der feuerte und feuerte und feuerte. Zweimal traf er in den inneren Kreis, einmal in den äußeren. Kein Schuss ging daneben. Niemand lachte mehr, sie schauten ihn an und staunten. Später sollten sie ihn am Ufer des East River auf Ratten schießen lassen, seine ersten lebenden Ziele. Roter Blutnebel, der spritzte und stäubte, und lautes Johlen bei jedem Treffer. Er hatte es nie verstanden, ihre Freude darüber, Blut spritzen und Kreaturen leiden zu sehen. Als es dann das erste Mal darum ging, einen Menschen zu töten, war er überrascht von der eigenen Kaltblütigkeit. Er hatte eine Lieferung in den Sand gesetzt (mittlerweile glaubte er, sie hatten es von Anfang an so eingefädelt, dass er versagen musste), und Moe hatte ihm die Chance zur Wiedergutmachung gegeben. Ein zitterndes Bündel Mensch, das sie aus einem Kofferraum geholt und auf den Asphalt geworfen hatten, mitten in der Nacht. Moe hatteAbe angeschaut und ihm wortlos eine Remington in die Hand gedrückt. Abe hatte den Gefesselten gesehen, dessen geschundenes Gesicht, und hatte gewusst, dieser Mann würde sterben, so oder so, er war eigentlich schon tot. Ebenso hatte er gewusst, dass er sich auf ewig den Respekt aller Umstehenden sichern würde, den Respekt der ganzen Gang, wenn er das wimmernde Bündel so eiskalt, präzise und beiläufig wie nur irgend möglich erledigte.
Und das hatte er gemacht. Er hatte so schnell geschossen, dass selbst Moe überrascht war, ein einziges Mal, präzise in den Hinterkopf, und hatte Moe die Remington wieder in die Hand gelegt. Dem Dicken war vor Überraschung das Grinsen aus dem Gesicht gefallen. Und dann war er in schallendes Gelächter ausgebrochen. »You’re a handsome son of a bitch«, hatte Moe gesagt, und seitdem hatte Abe seinen Spitznamen weg. Damals war er gerade sechzehn geworden.
In dieser Nacht hatte er gemerkt, zu seiner eigenen Überraschung, dass er keinerlei Angst vor dem Tod hatte, nicht vor dem eigenen, nicht vor dem der anderen. Sobald man den Tod akzeptiert hatte, verlor er seinen Schrecken, so einfach war das. Vielleicht hatte ihn genau das auch von der Religion seiner Väter entfremdet. Wer keine Angst vor dem Tod hatte, fürchtete auch keinen Gott.
Was war denn schon der Tod? Jeden Augenblick konnte es einen erwischen, das Herz, ein Auto oder eben eine Kugel. Wer leben wollte, musste sich auf den Tod einlassen, das hatte Abe schon früh verstanden; der Tod war die notwendige Bedingung, die das Leben einem abverlangte. Dass wir leben, ist verdammter Zufall, aber dass wir sterben, das steht fest, so hatte er Moe einmal sagen hören. Und er hatte recht. Die meisten Leute sahen es genau anders herum, hielten ihre eigene armselige Existenz für vorherbestimmtes Schicksal und den Tod
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