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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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gefallen! Bangemachen gilt nicht!«
    »Vielleicht hast du ja recht.« Sie trank einen Schluck Tee und versuchte ein weiteres Lächeln. So langsam konnte sie das wieder, ohne dass ihre Gesichtsmuskeln dagegen protestierten.
    »Natürlich habe ich recht«, sagte Gereon und schaute sie aufmunternd an. »Und jetzt trink aus und lass uns gehen! Wir haben zu tun!«
    27
    D er Korridor lag leer und dunkel vor ihm, nur das Licht der Dämmerung draußen spiegelte sich im blank gebohnerten Boden. Bislang war er niemandem begegnet; die meisten Menschen, die hier arbeiteten, waren längst zuhause, und die Patienten schliefen schon. Er hatte einen Moment warten müssen, um hineinzukommen, aber dann war es besser gelaufen, als er zu hoffen gewagt hatte. Gleich zwei Krankenwagen waren nacheinander vorgefahren und hatten die Opfer einer Schlägerei gebracht, zeitgleich mit einem ganzen Schwall Verwandter, Freunde oder sonstiger Betroffener, die in Taxen und privaten Autos anrollten und in wenigen Sekunden für ein heilloses Durcheinander vor der Notaufnahme sorgten. Goldstein hatte sich ohne Probleme unter diese Leute, offensichtlich eine Hochzeitsgesellschaft, mischen können und war aufs Gelände gelangt, war dann in einem unbeobachteten Moment, als die Streitereien der verfeindeten Parteien wieder aufflammten und das Krankenhauspersonal alle Hände voll zu tun hatte, erneute Handgreiflichkeiten zu verhindern, durch eine Tür im Bettenhaus verschwunden, in irgendeinen unbeleuchteten, menschenleeren Gang. Nach einer Weile hatte er das Treppenhaus gefunden und schnell wieder gewusst, wo er sich befand.
    So gesehen war der Besuch heute Nachmittag also nicht umsonst gewesen.
    Das Krankenhaus war nicht besonders groß, kein Vergleich zum Jewish Hospital am Prospect Place, in dem sie ihm seinerzeit denBlinddarm herausgenommen hatten, aber eben doch ein Krankenhaus mit unterschiedlichen Stationen, vielen Türen und langen Gängen, und es war besser, man kannte sich aus.
    Nun stand er also wieder vor der Tür mit den drei Messingziffern, und obwohl er wusste, dass sich da drinnen nicht mehr die ganze Familie versammelt hatte, sondern nur ein alter Mann allein im Bett lag und wahrscheinlich schon vor sich hin schnarchte und durch seine Träume spazierte, zögerte er genauso mit dem Hineingehen, wie er es wenige Stunden zuvor getan hatte.
    Diesmal hatte er keine Blumen, diesmal brachte er nichts mit außer der Remington, deren Gewicht er in seiner Innentasche spürte. Seine Hand drückte die Klinke nach unten, die sich lautlos bewegte, ebenso wie die Tür. Er schaute noch einmal über den Gang – die Tür zum Schwesternzimmer war immer noch geschlossen – und schlüpfte hinein in das unbeleuchtete Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, aber vom Licht draußen drang ein Schimmer herein und zeichnete deutliche Konturen in die Dunkelheit. An der Stirnwand stand das Bett, und darin lag er, ein alter Mann mit runzligem Gesicht. Dass es der richtige war, sagte ihm das Schild am Fußende, aber er hatte es schon vorher gewusst. Der Mann schnarchte nicht, nur ein Rasseln war zu hören, ein rasselndes Atmen. Dann sah Goldstein den Glanz der Augen und wusste, dass der Mann nicht schlief, wie er gedacht hatte, sondern wach war, hellwach.
    Das Laken knisterte, als der Mann im Bett seinen Oberkörper ein wenig aufrichtete, kaum merklich, wohl um den Eindringling besser sehen zu können. Goldstein kam langsam näher, Schritt für Schritt, trat an das Bett heran. Er spürte einen Kloß im Hals. Damit hatte er nicht gerechnet, darauf war er einfach nicht gefasst: Sie mussten ihn erkannt haben, die wachen Augen in diesem von Falten zerfurchten Gesicht. Der alte Mann öffnete seinen Mund, und dann bewegten sich seine Lippen. Er sprach nicht laut, doch jede der drei Silben war deutlich zu hören in der Stille des Krankenzimmers. Abraham. Obwohl sie sich noch nie zuvor begegnet waren, hatte der Alte ihn erkannt. Goldstein nickte und trat noch einen Schritt näher heran. Die Augen, die ihn da anschauten und jede seiner Bewegungen verfolgten, erwarteten bereits den Tod.
    28
    S ie hatten die Burg durch den Publikumseingang betreten und waren dann ohne Umwege ins Meldeamt gegangen. Rath fühlte sich wie früher auf Klassenfahrt, als er und seine Freunde sich verbotenerweise im Mädchentrakt der Jugendherberge herumgetrieben hatten; immerhin war er dabei, einer Zivilistin – denn das war Charly ja inzwischen – Zugang zu Informationen zu verschaffen, an die sie

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