Goldstück: Roman (German Edition)
sprechen. »Ich wollte dich schon ganz oft anrufen.«
»Mich?«, frage ich irritiert nach.
»Ja.« Sie nickt. »Aber irgendwie habe ich mich nicht getraut, weil … ich kam mir dann immer so albern vor und …« Sie unterbricht sich. »Jedenfalls hatte ich gerade hier in der Gegend zu tun, und da habe ich das Schild ›Lutterothstraße‹ gesehen und mich daran erinnert, dass hier dein Büro ist. Das habe ich dann irgendwie als Zeichen gewertet, bin die Straße entlang-spaziert und hab dabei tatsächlich dein Büro gefunden.« Sie räuspert sich. »Eben ein Zeichen, dachte ich. Du glaubst doch an Zeichen, oder?« Sie guckt mich aus ihren großen braunen Augen an, fast flehentlich, als würde sie mich stumm darum bitten, jetzt »Ja« zu sagen.
»Sicher«, antworte ich und verstehe immer noch nicht so
ganz, worum es hier geht. Zeichen? Nicht getraut? Was wird das hier? Mit einem Mal fängt mein Herz wieder an zu rasen. Oh, nein! Ich bin so eine Idiotin! Vor mir sitzt Daniels Schwester, sieht unübersehbar mitgenommen aus und sucht nach den richtigen Worten – sie hat es herausgefunden, das ist doch klar! Jetzt ist sie gekommen, um mich zur Rede zu stellen, wie ich es wagen kann, ihrem Bruder so übel mitzuspielen und ihn anzulügen! Schon will ich von mir aus dazu ansetzen, ihr alles zu erklären, da fällt sie mir ins Wort.
»Daniel hat immer so von dir geschwärmt, weißt du?«
»Das, äh, ja, das kam so«, starte ich einen erneuten Versuch, Dorothee begreiflich zu machen, warum das alles so gekommen ist und dass ich es bestimmt nicht wollte und überhaupt. Aber sie lässt mich nicht zu Wort kommen.
»Also, nicht nur als Frau, meine ich«, fährt sie fort, »sondern auch als Coach. In den höchsten Tönen hat er immer von dir gesprochen und mir erklärt, wie sehr du ihm geholfen hättest.«
»Ja?«, frage ich zögerlich nach. Und kann im selben Moment mein Glück kaum fassen, dass es Dorothee offenbar gerade um etwas anderes geht als um die Entlarvung der bösen Lügnerin, der ihr Bruder auf den Leim gegangen ist.
»Ja, er meinte, du hättest ihm wirklich weitergeholfen. Tja, und da dachte ich …«
»Ich könnte dir auch helfen?«, beende ich ihren Satz.
»Genau.« Ihre Stimme ist fast nur noch ein Flüstern.
»Aber das ist doch gar kein Problem«, rufe ich erleichtert und hoffe, mir ist nicht anzumerken, dass mir gerade eine Tonne Steine von der Seele fallen. »Dafür bin ich schließlich da, du hättest mich jederzeit anrufen können!« Dorothee blickt auf, ich nicke ihr aufmunternd zu. »Wo drückt denn der Schuh? Bei welchen Jobproblemen kann ich dir helfen?«
»Es ist«, setzt sie stockend an, unterbricht sich, räuspert sich und versucht es noch einmal: »Es geht nicht um meinen Job.«
»Sondern?«
»Ich … ich …«, sie gibt ein lautes Schluchzen von sich, »ich wünsche mir so sehr Kinder!« Dann bricht Dorothee unvermittelt in Tränen aus.
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24. Kapitel
Ä h, Kinder?«, wiederhole ich, nachdem ich Dorothee eine Packung Taschentücher gereicht habe und sie sich wieder einigermaßen beruhigt hat.
»Ja«, bringt sie – immer noch schluchzend – hervor. »So sehr wünsche ich mir das!«
»Aber, aber …«, suche ich nach den passenden Worten, »also, da weiß ich jetzt auch nicht so genau, wie ich dir helfen …« Plötzlich fällt mir der Abend im »Gallo Nero« ein, als Dorothee uns überraschend verließ, weil der Babysitter anrief. »Ich denke, du hast Kinder! Als wir beim Italiener waren, musstest du doch nach Hause zu deiner Jüngsten, hast du gesagt.«
»Ach«, schnaubt Daniels Schwester, »das war alles bloß geschwindelt, weil wir der Meinung waren, das wäre die beste Ausrede, um mich unauffällig davonzustehlen und euch allein zu lassen. In Wahrheit hat Daniel unterm Tisch heimlich mein Handy angerufen, damit ich so tun konnte, als müsse ich nach Hause.«
»Verstehe. Dann hast du also keine Kinder?«
»Nein.« Sie schüttelt den Kopf. »Und ich bin auch meilenweit davon entfernt, welche zu bekommen.«
»Warum?«, frage ich, weil ich gerade nicht so wirklich weiß, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Das hier ist etwas anderes als Probleme im Beruf oder der Wunsch, den Partner fürs Leben zu finden. Auf so etwas bin ich, gelinde gesagt, komplett unvorbereitet.
»Das möchte ich auch mal wissen!« Wieder klingt Dorothee eher wütend als verzweifelt. »Immerhin bin ich schon siebenunddreißig, andere Frauen in meinem Alter haben die
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