Goldstück: Roman (German Edition)
dass er Zwiesprache mit meiner Cousine hält, und auch ich kann nicht anders, als in Gedanken mit Kiki zu reden.
Kiki, ich bin so traurig, dass du nicht mehr hier bist. Und ich verstehe immer noch nicht, warum du sterben musstest, die Welt ist einfach furchtbar ungerecht. Aber ich tue mein Bestes, um weiterzumachen. Ich streiche mit den Fingern über das Armband an meinem Handgelenk. Weißt du, was? Das Gesetz der Anziehung funktioniert wirklich, ich habe es ausprobiert, und es hat gleich geklappt. Okay, ich bin dafür … na ja, ich musste so tun, als wäre ich du. Ich hoffe, du bist mir deshalb nicht böse, aber ich glaube, du verstehst das schon.
Stefan steht wieder auf und dreht sich zu mir um. Verstohlen wischt er sich die Tränen aus den Augenwinkeln und lächelt mich dann an. »Komm«, sagt er, »lass uns fahren, es ist gut jetzt.«
Ich nicke. »Ja, es ist gut.«
Hand in Hand wandern wir durch den Friedhof zurück zu Stefans Auto. Noch immer fühle ich diese seltsame Wärme in mir und frage mich, ob es wirklich Kiki ist, die dieses Gefühl in mir auslöst. Nein, ich frage mich das nicht. Ich weiß es. Meine Cousine ist bei mir, sie hat uns nicht verlassen.
»So, und jetzt raus mit der Sprache: Was hast du am Wochenende getrieben?« Nadine empfängt mich mit einem strahlenden Lächeln, als sie am nächsten Morgen ins Sonnenstudio kommt.
Ich bin schon seit einer halben Stunde da, um mich ein bisschen einzuarbeiten und zu schauen, ob sich in den letzten Wochen irgendetwas geändert hat. Ist ja nicht ganz unwichtig zu wissen, ob beispielsweise die Bestrahlungsstärken der einzelnen Bänke noch genauso sind wie im Frühjahr. Nicht dass ich einen ahnungslosen Kunden auf die vormals schwächere zwei schicke, die dank neuer Röhren jetzt turbomäßig bräunt.
»Nichts Besonderes«, erwidere ich lapidar. »Aber so, wie du aussiehst, hast du durchaus was Besonderes gemacht.«
Nadine kichert. »Na ja.« Sie setzt sich auf ihren Stuhl und grinst mich fröhlich an. »Ralf und ich mussten uns natürlich erst einmal ausgiebig versöhnen. Am liebsten wäre ich gestern mit ihm den ganzen Tag im Bett geblieben. Aber das ging nicht, ich musste ja hier die Stellung halten. Was mich wieder zu meiner Ausgangsfrage bringt: Also, was hast du gemacht? Jetzt erzähl schon, bevor ich vor Neugierde platze!«
»Da gibt es echt noch nichts zu berichten«, laviere ich mich heraus. »Ehrlich, du bist die Erste, die es erfährt, sobald irgendetwas feststeht.«
»Na gut, dann mach halt weiter mit deiner Geheimniskrämerei«, meint Nadine in gespielt schnippischem Tonfall. »In-teressiert mich auch gar nicht, was du so treibst.«
»Dann ist es ja gut.«
»Sag mal«, wechselt sie das Thema, »was ist jetzt eigentlich mit deinem Vermieter? Der wollte doch heute die Kohle haben.«
»Schon erledigt. Ich habe ihm einen Umschlag mit dem Geld in den Briefkasten gesteckt, bevor ich los bin.«
»Echt?« Nadine staunt regelrecht Bauklötze. »Wo hast du denn so schnell die sechshundert Euro herbekommen?«
Ich beiße mir auf die Lippe. Mist! Dafür muss ich natürlich eine Erklärung haben. »Ich, äh, hab doch noch kurzfristig einen Sponsor gefunden. Meine Tante.«
»Du meinst Kikis Mutter, Tante Simone?«
»Nein, eine … äh, entfernte Tante. Eine Art Tante, genau genommen.«
»Eine Art Tante?«
»Ja, also, mehr so meine … Patentante.«
Nadine seufzt. »So eine Patentante hätte ich auch gern, die könnten Ralf und ich momentan gut gebrauchen.«
»Ich kann sie dir ja mal ausleihen«, mache ich einen Witz.
»Sehr gerne«, erwidert Nadine und fügt dann kichernd hin
zu: »Allerdings nur, wenn ich dafür dann nicht Weihnachten und andere Feiertage mit ihr verbringen muss.«
»Keine Sorge«, beruhige ich sie. »Ist eine praktische Patentante, lebt ganz weit weg, in Amerika.«
»Die Tante aus Amerika also?«
»Jau, so sieht es aus.« Wir lachen. Trotzdem entgeht mir nicht, dass Nadine mir vermutlich kein einziges Wort glaubt, selbst beim Lachen wirkt sie skeptisch. Soll sie halt, was Besseres fällt mir eben gerade nicht ein.
»Hallo, Maike!« Lederhaut-Babs kommt ins Studio und bleibt vor unserem Tresen stehen. »Dich habe ich ja lange nicht mehr hier gesehen.« Sie setzt eine mitleidige Miene auf. »Geht’s dir denn wieder einigermaßen?«
»Ja«, sage ich, »ich hab mich ganz gut berappelt.«
»Da bin ich ja beruhigt. Dachte schon, du würdest gar nicht mehr kommen.«
»Hätte ich auch nichts gegen gehabt«, antworte
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