Goldstück: Roman (German Edition)
soll ich auch anderes tun? »Also, ich muss dann auch los.« Mit diesen Worten ist er schon halb bei der Tür.
»Daniel!«, rufe ich.
»Ja?« Er dreht sich zu mir um.
»Ihre Dankbarkeitsliste und Ihre Wunsch-Wand! Die sollten Sie nicht vergessen.«
»Oh, ja, sicher.« Er schnappt sich die Rolle mit der Liste, während ich die Wunsch-Wand abnehme und zusammenrolle, um sie ihm zu reichen.
»Ja, dann«, meint er, »danke ich noch einmal für das erkenntnisreiche Wochenende.« Schon ist er aus der Tür.
Ich bleibe dahinter stehen – und ärgere mich über mich selbst. Mist! Mist! Mist! Warum habe ich nicht die Gelegenheit ergriffen und ihn geküsst? Sein Mund war höchstens fünf Zentimeter von meinem entfernt. Er wollte es auch gerne, da bin ich mir ganz sicher.
Quatsch – sagt mir mein Verstand jetzt laut und deutlich. Er wollte nicht dich küssen, sondern Kirsten, die erfolgreiche, gestandene Frau. Und die, liebe Maike, bist du ja nun wirklich nicht. Also bleib mal besser auf Abstand, sonst hast du bald noch mehr Probleme. Ich seufze. Recht hat er, mein Verstand. Aber ich merke, wie sich dieser Wunsch trotzdem geradewegs in meinem Herzen einnistet.
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17. Kapitel
S tefan holt mich wie abgemacht um Viertel nach vier ab und fährt mit mir raus zum Ohlsdorfer Friedhof. Er parkt seinen Wagen neben einem der Friedhofseingänge, und wir steigen aus. Nachdem wir zwanzig Minuten lang schweigend und in Gedanken versunken – Stefan vermutlich in andere als ich, wofür ich mich ein kleines bisschen schäme – an den Gräbern vorbeispaziert sind, bleibt Stefan stehen.
»So, ich glaube, hier sind wir schon ungefähr auf der richtigen Höhe.«
»Stimmt. Hier müsste es sein.«
Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg ist nicht einfach nur ein Friedhof, er ist gleichzeitig ein riesiger Park. Wenn man zu Fuß eine große Runde drehen will, braucht man dafür mit Sicherheit mindestens zwei Stunden. Noch im letzten Sommer bin ich mit Kiki auf Inlineskates durch die Anlage gefahren. Das ist zwar verboten, aber man darf sich eben nicht erwischen lassen. Es war traumhaftes Wetter, und wir hatten einen phantastischen Tag. Und jetzt liegt sie hier. Für immer. Ich merke, wie sich mein Magen zusammenkrampft.
Stefan schaut mich von der Seite an. »Möchtest du lieber wieder nach Hause?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, ist schon in Ordnung. Ich wollte sie selbst eigentlich auch schon längst wieder besucht haben. Aber alleine ist es eben noch sehr schwer.«
Stefan greift nach meiner Hand. »Komm! Gemeinsam schaffen wir das!«
Wir gehen an einem kleinen See vorbei und erreichen schließlich die Lichtung des Schmetterlingsgartens. Auf einer der Parkbänke sitzen zwei ältere Damen und unterhalten sich,
tatsächlich schwirren über den Blumenbeeten einige Schmetterlinge. Ganz in der Nähe des großen Beetes in der Mitte des Gartens liegt Kikis Grab. Mittlerweile hat es auch einen Stein, in den ein Ornament gehauen ist: ein großer Schmetterling mitten über einem Blütenmeer. Ich merke, wie mir Tränen in die Augen steigen. Auch Stefan schluckt.
»Hast du den Stein ausgesucht?«, will ich von ihm wissen.
Er nickt. »Ja, zusammen mit Simone.«
»Er ist wirklich wunderschön. Der ganze Schmetterlingsgarten ist wunderschön.«
»Wusstest du, dass der Schmetterling ein Sinnbild der Verwandlung ist? Des Lebens nach dem Tod?«
»Nein, das wusste ich nicht.«
»Na ja, die Raupe stirbt nicht, sie verwandelt sich in einen wunderschönen Schmetterling, verstehst du? Es geht immer weiter. Das Leben ist nicht einfach zu Ende, es verändert sich nur.«
Wir halten uns ganz fest an den Händen. Stefan hat recht – es muss einfach irgendwie weitergehen für Kiki. Sie hatte so viel Energie, so viel Freude. Die kann nicht einfach weg sein, sie hat sich nur in eine andere Form verwandelt.
Plötzlich spüre ich, wie mich eine warme Welle durchströmt. Ein regelrechtes Glücksgefühl ergreift von mir Besitz, zum ersten Mal seit Kikis Tod ist da eine eigenartige Leichtigkeit, so als wäre gerade etwas sehr, sehr Schweres von mir abgefallen. Ich wende mich Stefan zu.
»Fühlst du das auch?«, frage ich flüsternd, als hätte ich Sorge, dieses seltsame Gefühl zu verscheuchen.
»Ja«, flüstert er zurück und drückt wieder meine Hand. »Ich kann es auch spüren. Es ist fast so, als wäre sie hier.« Er kniet vor dem Grab nieder, legt eine Hand auf die Erde und verharrt so einen Augenblick. Ein leises Murmeln sagt mir,
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