Goldstück: Roman (German Edition)
Er sieht immer noch etwas skeptisch aus. »Aber wir haben doch alle Sachen von Kiki in Kartons gepackt, und ich habe sie weggebracht.«
Herrje, warum muss Stefan nur so hartnäckig sein, ich fühle mich ja glatt wie bei einem Verhör! Fehlt nur noch, dass er sich meine Schreibtischlampe schnappt und sie mir ins Gesicht hält.
»Ja, sicher«, sage ich, »aber das Büromaterial und ihre Bücher habe ich noch behalten, weil ich sie bei Gelegenheit aussortieren und dann alles Brauchbare zur Uni-Bibliothek bringen wollte. Da standen also noch zwei Kartons vorn im Büro.«
»Verstehe«, erwidert Stefan, und ich hege schon die schwache Hoffnung, dass er es nun gut sein lässt. Aber da kenne ich Stefan Becker schlecht, Ausdauer gehört schließlich zu seinem Job. »Dann hat also«, fährt er fort, und eine steile Falte bildet sich zwischen seinen Augenbrauen, »dieser Markus Gärtner in Kikis Kartons rumgewühlt?«
»Was?«, rufe ich entsetzt aus. »Nein, äh, natürlich nicht!«, beeile ich mich, zu versichern. Auweia! Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon Stefan, wie er sich den armen, verunsicherten Markus Gärtner greift, wenn sie sich morgen früh zum Training treffen, ihn am Kragen packt und heftig schüttelt: »Was fällt dir ein, in den Sachen meiner verstorbenen Freundin rumzuschnüffeln?« Nicht gut, das ist gar nicht gut, das ist …
»Maike?«, holt Stefan mich in die Wirklichkeit zurück.
»Äh, ja?«
»Das ist doch komisch, oder?«
»Nein«, stottere ich und bete innerlich, dass er nicht merkt, wie ich gerade Blut und Wasser schwitze. »Genau genommen ist das gar nicht komisch, weil … weil … Also, ich hab die Kartons wieder ausgeräumt.«
»Ausgeräumt?«, wiederholt Stefan. Ich nicke.
»Ja«, gestehe ich.
»Wieso das?«
»Weil ich dachte, dass sich die Büroräume sicher besser untervermieten lassen, wenn es etwas wohnlicher aussieht. Deshalb habe ich sie ein bisschen dekoriert. So wohnstyling-mäßig, verstehst du?« Ich glaube zwar nicht, dass Stefan mir diesen riesigen Unsinn abkauft – aber tatsächlich verschwindet die Falte zwischen seinen Augenbrauen.
»Verstehe«, sagt er und nickt. Doch Sekunden später ist die Falte wieder da, diesmal noch tiefer und deutlicher. »Aber dann begreife ich immer noch nicht, warum Markus Gärtner sagte, er sei bei einem Coaching mit Kirsten Schäfer gewesen?«
Argh, es wird ja immer besser! Ermattet zucke ich mit den Schultern. »Keine Ahnung«, gebe ich zu, »vielleicht hat er sich nur ungeschickt ausgedrückt.«
Schon wieder schwitze ich Blut und Wasser, denn in diesem Augenblick wird mir klar, dass ich mich für diesen Moment vielleicht noch retten kann – aber spätestens morgen, wenn
Stefan auf Markus Gärtner trifft und sie sich etwas länger unterhalten, werde ich wohl erledigt sein. Egal, Maike, darüber kannst du später noch nachdenken, jetzt musst du erst einmal diese Kuh hier vom Eis bringen.
»Ich denke, er wollte damit sagen, er habe ihn in den Coaching-Räumen von Kirsten Schäfer gefunden. Ich meine, ich hab mich auch nur mit Schäfer vorgestellt, da konnte er ja nicht wissen, wie ich mit Vornamen heiße, und ist wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ich Kirsten bin, weil ihr Name noch vorn an der Bürotür steht. Natürlich habe ich den Interessenten nicht die traurige Geschichte erzählt, weshalb ich einen Untermieter suche. Das geht schließlich keinen was an, weißt du?«
Stefans Gesichtszüge entspannen sich wieder. »Da hast du vermutlich recht«, sagt er. »Alles andere wäre ja auch absurd.« Gedankenverloren schüttelt er den Kopf und sieht mit einem Schlag unglaublich traurig aus. »Wird wohl kaum ein Geist in Kikis altem Büro sein Unwesen treiben und Beratungen abhalten.« Wieder ein Kopfschütteln, so als würde er versuchen, damit diese absurde Vorstellung loszuwerden. »Ich geh dann mal unter die Bank.«
»Alles klar«, meine ich, »viel Spaß dabei!«
Sobald Stefan aus meinem Blickfeld verschwunden ist, atme ich einmal tief ein und aus und lasse mich auf meinem Stuhl zurücksinken. Puh, das ist gerade noch mal gutgegangen. Zum Glück ahnt Stefan nicht, dass da tatsächlich ein Geist sein Unwesen treibt. Und dieser Geist bin ich.
»Hallo, Herr Gärtner! Kirsten Schäfer hier.« Fünf Sekunden, nachdem Stefan das Studio verlassen hat, habe ich Markus Gärtners Handynummer gewählt, die glücklicherweise auf der Visitenkarte steht, die er mir gegeben hat.
»Hallo, Frau Schäfer«, kommt es erfreut
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