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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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ist genug, wir haben schon mehr Wasser, als wir brauchen.‹
    Kaum hatte er diese Worte gesagt, blieb der Golem stehen und die Eimer fielen ihm aus der Hand.
    ›Geh zur Schul, Josef‹, sagte der Rabbi und wartete, bis der Golem um die Ecke verschwunden war, dann wandte er sich an seine Frau: ›Ich habe dir doch gesagt, dass du ihn nicht im Haushalt beschäftigen darfst, denn es steht geschrieben: Du sollst ein Gefäß, das heiligen Handlungen dient, nicht zu alltäglichen Diensten gebrauchen .‹
    Die Frau des Rabbis hob mit einem tiefen Seufzer die leeren Eimer auf. Nun hatte sie noch mehr Arbeit, als sie ohne die Hilfe des Golems gehabt hätte, und die Engel im Himmel, die alles beobachtet hatten, lachten laut und schlugen vergnügt die Hände zusammen.«
    Jankel setzte sich auf. »Diese Geschichte gefällt mir«, sagte er, »aber so etwas Dummes würde meine Tante Perl nie tun, sie würde sich immer an die Anweisungen des Rabbis halten.«
    Schmulik nahm sich noch eine kandierte Kirsche, steckte sie in den Mund und lutschte sie, während er nachdachte. »Wenn man eine Geschichte so erzählen will, dass sie den Leuten gefällt«, sagte er, »dann darf man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Aber wenn du meinst, dass ich damit die Frau des Rabbis kränke, dann werde ich sie eben von Jente erzählen.«
    »Auch Jente würde das nie tun«, widersprach Jankel.
    »Aber sie ist meine Tante«, sagte Schmulik. »Und über meine Tante kann ich erzählen, was ich will, ohne der Frau des Rabbis damit zu schaden. Außerdem bin ich sicher, dass Jente nichts dagegen haben würde. Komm, wir müssen langsam zur Backstube zurückgehen, sonst macht Mendel sich am Ende noch Sorgen um uns.«
    Auf dem Rückweg, sie waren kurz vor dem Lehrhaus, sagte Jankel: »Geh voraus, ich muss noch etwas erledigen. Sag Mendel, dass ich bald komme.«
    Schmulik nickte, nahm den Korb in die andere Hand und ging weiter.
    Jankel wartete, bis sein Freund um die Ecke verschwunden war, dann ging er langsam zur Bank hinüber, auf der Josef noch immer saß, und setzte sich neben ihn. Josef bewegte sich nicht, seine Augen waren geschlossen, und Jankel konnte nicht sehen, ob es ihm überhaupt aufgefallen war, dass er nicht mehr allein auf der Bank saß. Die Sonne schien und es war angenehm warm.
    I ch wusste nicht, was mich dazu getrieben hatte, mich zu ihm zu setzen, vielleicht wollte ich ihm nur nahe sein, solange es noch möglich war. Aber eigentlich waren mir die Gründe auch egal, wer weiß schon immer, warum er etwas Bestimmtes tut oder weshalb er es genau in diesem Moment tut?
    Ich überlegte, ob Josef wusste oder zumindest ahnte, was mit ihm geschehen würde, ob er überhaupt verstand, wer er war. Ich überlegte auch, wann es passieren würde. In einer Woche? In einem Monat? Oder schon morgen?
    Die warmen Sonnenstrahlen machten mich müde, die Augen fielen mir zu. Da spürte ich, wie ich hochgehoben wurde, ich saß auf Josefs Schultern, wie ich früher, als Kind, auf den Schultern meines Vaters gesessen hatte, ein sanfter Luftzug strich mir über das Gesicht. Meine Müdigkeit verflog, und ich war glücklich, wie ich vielleicht als Kind glücklich gewesen war.
    Als ich nach einer Weile die Augen öffnete und den Kopfseitwärtsdrehte, sah ich, dass wir die Stadt schon hinter uns gelassen hatten. Ich schwebte hoch über der Erde, denn Josef war ins Unendliche gewachsen, ein Riese, und mit Riesen schritten stieg er über Hügel und Bäche, über Wiesen und abgeerntete Felder. Von weit oben sah ich einzelne Bauernhöfe, einen Bach und eine Mühle, deren Rad sich drehte. Ich sah Kühe und Schafe auf einer Weide, ich sah eine Bäuerin, die Wäsche auf eine Leine hängte, und einen Bauern, der mit einem Ochsen ein Feld pflügte, ich sah Äcker mit Kohl und Kürbissen, Apfelbäume, die sich unter der Last ihrer Früchte bogen.
    Josefs Beine waren so lang, dass er mühelos auch über Bäume stieg, über Wälder, ich sah Hirschkühe auf einer Lichtung grasen und ich sah einen Habicht steil nach unten schießen, zur Erde, und mit einer Beute in den Fängen wieder aufsteigen. Ich sah ein Rudel Wölfe, die ein Reh verfolgten, und wusste, dass sie es bald eingekreist haben würden. Der Wind pfiff mir um die Ohren und mir wurde schwindlig, so schnell ging es vorwärts.
    Und dann blieb Josef plötzlich stehen. Ich riss die Augen auf, ich blinzelte und erkannte, dass wir in Mo ř ina waren.
    Josef hob mich von seinen Schultern, bückte sich und senkte mich tiefer

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