Golem stiller Bruder
Leiche, trat zum Bücherschrank, nahm die beiden Verderben bringenden Bücher, das der Schöpfung und das der Heilkunst, und warf sie in die Flamme des Kamins. Von dieser Zeit an war jede Lebensfreude aus ihm gewichen und sein ganzes Leben war voller Trübsal.«
Der Rabbi schwieg, und Jankel fragte entsetzt: »Hat der große Maimonides wirklich einen Menschen getötet, um die Wahrheit herauszufinden?«
»Es ist nur eine Parabel«, erklärte der Hohe Rabbi, »ein Gleichnis. Um zu zeigen, wie weit Maimonides gegangen ist, bis zu welcher Stufe des Wissens er hinaufgestiegen ist, musste man das Furchtbarste beschreiben, was ein Mensch tun kann. Um uns zu zeigen, welche Gefahren es mit sich bringt, wenn wir uns anmaßen, es dem gleichzutun, der Ursprung und Ende ist. Das Streben nach Erkenntnis ist als Samen in uns gelegt, doch wir müssen den Baum, der daraus wächst, hegen und beschneiden, damit er sich nicht durch Wildwuchs selbst zerstört.«
Bevor sie auseinandergingen, sagte er noch: »Manchmal bedauere ich, dass wir dazu fähig waren, ihn zu erschaffen. Wie viel glücklicher wären wir Menschen, wenn wir uns bescheiden würden, wie viel weniger gefährdet. Wir haben etwas gemacht, was die Natur nicht vorgesehen hat, und ich fürchte, wir haben uns etwas angemaßt, was sie nicht in uns gelegt hat. Und jetzt geht und denkt über das nach, was ich euch gesagt habe.«
Sie standen auf, und der Rabbi blies die Kerze aus, bevor sie das Studierzimmer verließen.
18. Kapitel
Stiller Bruder meiner Seele
N ichts geschieht in der wirklichen Welt, ohne dass es vorher in der Welt des Geistes bekannt ist. In der Nacht steigt die Seele auf zum Himmel und sieht, was dem Auge verborgen bleibt, doch wenn der Mensch aufwacht, weiß er es nicht mehr, denn er ist nicht stark genug, um dieses Wissen zu ertragen.
Jankel erwachte morgens aus einem dunklen, quälenden Traum, sein Herz war schwer und seine Glieder wollten ihm nicht gehorchen.
Nur mit Mühe schleppte er sich die Treppe hinauf, zum Studierzimmer des Rabbis.
Dieser hielt ihn nach dem Gebet zurück. »Höre, Jankel«, sagte er, »ich habe darüber nachgedacht. Josef ist kein Mensch, er wird nie einer sein, verstehst du? Er ist nur eine Lehmfigur, der durch die geheimen Lehren Leben verliehen wurde, er kann atmen und sich bewegen, aber ihm fehlt die Seele und er wird eines nicht so fernen Tages wieder zu Lehm werden, das musst du begreifen.«
Jankels Herz wurde noch schwerer und der Rabbi strich ihm über den Kopf. »Nach allen Vorschriften dürfen wir ein Geschenk des Ewigen, das er zum Wohl seines Volkes geschaffen hat, nicht für eigennützige Zwecke benutzen. Drum hüte dich, Jankel, dein Herz an ihn zu hängen, denn es steht geschrieben: Die Götzenmacher sind alle nichtig; woran ihr Herz hängt, ist nichts nütze .«
Jankel nickte. Er wusste, dass sein Onkel recht hatte, dennoch blieb er bedrückt und von schwarzen Gedanken erfüllt.
Als er die Backstube betrat, begrüßte er Mendel, Anschel und Schmulik mit einem stummen Nicken, und wenn ihn einer etwas fragte, wich er der Antwort aus und nickte nur oder schüttelte den Kopf. Es war, als hätte sich seine Stimme in ihm versteckt und sei nur bereit herauszukommen, wenn sie den Namen »Josef« sagen dürfte. Selbst Schmulik gegen über schwieg er. Und Schmulik, der sonst so gerne redete und Scherze machte, schien zu spüren, dass es heute besser war, nichts zu sagen. Mendel gab ihnen den Auftrag, das Mehl zu beuteln, das Anschel gebracht hatte, und sie arbeiteten schweigend. Der Mehlstaub setzte sich in ihre Haare, auf ihre Haut und in ihre Kleidung, und Jankel hatte das Gefühl, in einer Wolke aus Mehl zu versinken, die ihn umfangen hielt und aus der er erst wieder auftauchte, als Fejgele erschien, um sie zum Mittagessen zu rufen.
I ch verstand nicht, warum mich diese Schwermut befallen hatte, ich wusste ja, dass Josef nichts anderes war als ein Golem, dem der Ewige nur den Atem des Lebens gewährt hatte, aber keine Seele, dass er kein Mensch war, den man liebt und dessen nahes Ende einem das Herz betrübt und die Sinne verdüstert. Josef war auch nicht mein Freund, nicht wie Schmulik. Eher ein Bruder, dachte ich, ein großer Bruder, dessen Nähe Sicherheit und Geborgenheit verspricht, auch wenn ich keine Ahnung hatte, welche Gedanken sich hinter seiner Stirn verbargen, falls er überhaupt denken konnte. Aber ich hatte immer wieder das Bild vor Augen, wie er mich damals, in jener Nacht, getragen hatte. Er war
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