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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Ungläubigen und er kann reden wie kein Zweiter. Außerdem fällt er mit seinen roten Haaren weniger auf als jeder andere und mit seinem angenehmen Äußeren nimmt er die Menschen für sich ein. Du weißt doch, wie von König David geschrieben steht: Und er war rötlich mit schönen Augen und von guter Gestalt . Schmulik geht schon lange auf die Märkte der Christen und nie ist ihm etwas passiert.«
    »Der Ewige, gelobt sei er, möge ihn beschützen, damit das auch so bleibt«, sagte Jente, aber sie sah nicht erleichtert aus. Mit steifem Rücken und zusammengezogenen Augenbrauen verabschiedete sie sich von Mendel und ließ den Jungen allein zurück.
    Der Bäcker drückte ihm einen Eimer mit Wasser in die Hand. »Hier«, sagte er, »fang erst mal an, die Backstube zu säubern, du siehst ja, dass das Mehl sich an allem festsetzt. Und zieh deine Jacke aus und binde dir eine Schürze um.« Er lachte und deutete auf seine weiß überstäubte Hose. »Viel nützt es ja nicht, aber immerhin.«
    Jankel hängte die Jacke, die Frumes ältestem Sohn Schajke gehört hatte, an einen Haken und band sich eine Schürze um, die so groß war, dass er sie sich doppelt um den Bauch wickeln musste. Dann machte er sich daran, eines der Holzfässer zu säubern. Das Wasser war kalt und das Mehl pappte am Holz und ließ sich kaum entfernen, vor allem in den Ritzen und Fugen klebte es so fest wie getrockneter Mörtel. Er schaute zu Mendel hinüber, der sich schon wieder mit seinem Teig beschäftigte, und versuchte, die weiße Schicht mit den Fingernägeln aus den Ritzen zu kratzen, aber es ging nicht. Er fing an zu schwitzen. Auf einmal legte ihm Mendel die Hand auf die Schulter und sagte: »Du musst es nicht übertreiben. Eine Backstube bekommt man nie ganz mehlfrei.«
    Dankbar arbeitete Jankel weiter, ohne sich mit jeder Fuge und Ritze aufzuhalten, aber er wurde das Empfinden nicht los, etwas Sinnloses zu tun. Etwas, das seine Tante Schejndl »Regentropfen zum Bach tragen« genannt hätte.
    Z u Hause war mir jede Arbeit leicht von der Hand gegangen, aber hier war es, als gehorchten mir meine Hände nicht. Ich dachte an Tante Schejndl, die Teig zubereiten konnte, und bedauerte, dass ich ihr nie dabei zugeschaut und etwas gelernt hatte, was mir jetzt hätte von Nutzen sein können.
    Bei uns wurde nur alle zwei Wochen Brot gebacken, und die Frauen bereiteten an diesem Tag schon in aller Frühe den Teig vor, den sie bereits am Vorabend angesetzt hatten. Es war üblich, dass die Mütter ihren Kindern kleine Teigbröckchen mitgaben, nur so groß, dass sie in ihre Handflächen passten, für die Kinderkringel. Auch ich hatte, wenn ich an dem großen Tag zum Backhaus ging, immer ein Bröckchen dabei, erst von meiner Mutter, später von Tante Schejndl. Und wenn die letzten Frauen ihre Brote gebacken hatten, durften wir unseren Teig, zu Kringeln gebogen, ins Backrohr schieben. Diese Kringel, die wir Kinderbejgl nannten, waren, noch warm gegessen, das Köstlichste, das wir kannten.
    Den ganzen Tag lang hing der Duft von frisch gebackenem Brot in der Luft, und alle waren so fröhlich, wie sie es sonst nur an Purim* waren. Avrumik, der als Tagelöhner mal bei diesem, mal bei jenem arbeitete, heizte oft schon vor Sonnenaufgang den Lehmofen im Backhaus an, und wir Jungen rissen uns darum, ihm zu helfen. Wir schleppten Holz herbei und waren stolz, wenn wir das Ofentor öffnen und die Scheite in die Glut schieben durften. Die Hitze schlug einem entgegen, und die anderen, die drum herum standen und zuschauten, starrten neidisch auf das Gesicht des Glücklichen, das aufglühte, als würden auch in ihm die Flammen hochschlagen. Es war ein Abenteuer, dessen Reiz ich nun, in Mendels Backstube, nicht mehr verstand. Ich überlegte, ob ich vielleicht nur älter geworden war und deshalb so mitleidig auf dieses kindliche Vergnügen hinunterblickte, mitleidig und ein bisschen verächtlich. Doch die Erinnerung an die Kinderkringel erfüllte mich mit einer seltsamen Wehmut, und ich bedauerte, dass ich beim letzten Mal noch nicht gewusst hatte, dass es das letzte Mal sein würde. Es war, als hätte ich durch Dummheit oder Nachlässigkeit verpasst, mich von einem vertrauten Menschen zu verabschieden.
    D urch die offene Backstubentür trat ein klein gewachsener, ziemlich magerer Mann, einen Sack auf dem Rücken, unter dessen Last er fast zusammenbrach. Mit einem dumpfen Aufprall ließ er ihn zu Boden fallen, streckte den Rücken, schnaufte laut und wischte sich den Schweiß

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