Golem stiller Bruder
die Wand eingelassene eiserne Waage mit zwei Schalen, darunter, auf dem Boden, standen einige Gewichte und daneben zwei Fässer. An einer anderen Wand waren Holzbretter befestigt, auf denen ein paar Brotlaibe lagen, und neben dem Ofen lehnten Holzstangen, an zweien waren abgerundete Bretter befestigt, sodass sie aussahen wie flache Schaufeln. In der Mitte des Raums, vor einem großen, erhöhten Holztrog, stand ein Mann mit den Rücken zu ihnen. Er hatte sich über den Trog gebeugt und knetete Teig.
»Friede sei mit dir, Mendel«, sagte Jente.
Der Mann hob den Teigklumpen hoch, ließ ihn klatschend in den Trog zurückfallen, richtete sich auf und drehte sich um. Bei seinem Anblick wich Jankel unwillkürlich einen Schritt zurück.
D er Mann sah wirklich aus wie ein Geist, ein hohläugiger Geist mit einem fahlen, fast weißen Gesicht, in dem dunkle Augen glühten. Auch seine Lippen waren weiß, nur die Linie, wo sie zusammenstießen, war ein schwarzer Strich. Selbst seine Haare unter der kaum erkennbaren weißen Kipa waren weiß. Er hob die Hände und rieb sich mit einem seltsam schabenden Geräusch die Teigreste von den Fingern.
Mir erstarrte das Blut in den Adern und kalter Schweiß brach mir aus bei dem Gedanken, dass ich hierbleiben sollte, allein mit diesem Gespenst in dieser weißen Hölle. Entsetzt wandte ich den Kopf zu Jente, doch sie sah ganz gelassen aus. Die Lippen des Mannes öffneten sich und ich stieß erleichtert die Luft aus. Wie dumm ich gewesen war! Der Bäcker sah nur deshalb so geisterhaft aus, weil er ganz und gar von feinem Mehlstaub überzogen war. Er war weiß, von den kräftigen, dicht behaarten Armen bis über das Gesicht, auch sein Hemd mit den aufgerollten Ärmeln, seine Hose, sein Bart, seine Haare und sogar seine Kipa. Nun erst fiel mir auf, dass auch die ganze Backstube mit einer dünnen Lage Mehl bedeckt war, selbst die aufgeschichteten Holzscheite an der Wand neben dem Ofen.
F riede sei auch mit dir, Jente«, sagte der Mann. Er wischte sich die Hände an der Schürze sauber und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die dadurch plötzlich rot und voll unter der Mehlschicht hervorkamen. Er wandte sich an den Jungen. »Du bist also Jankel, der Großneffe unseres Hohen Rabbis«, sagte er freundlich. »Sei willkommen, Jankel. Wenn du fleißig und gehorsam bist, sollst du es hier gut haben. Es ist eine sehr ehrenvolle Arbeit, Brot zu backen, eine Arbeit, die all unsere Liebe und Sorgfalt verdient, damit es uns gut ergehe, so wie geschrieben steht: Und ihr sollt Brot die Fülle haben und sollt sicher in eurem Land wohnen. «
Jankel nickte verlegen. Er war sein Leben lang fleißig und gehorsam gewesen. Seine Tante Schejndl hielt nichts vom Müßiggang und war davon überzeugt, dass Gott nur Hände segnet, die sich emsig regen, und dass Faulheit ein Gräuel in seinen Augen ist.
Jente blickte sich suchend in der Backstube um. »Wo ist Schmulik?«, fragte sie mit hörbarer Beunruhigung in der Stimme. »Warum ist er nicht hier? Ist er, der Ewige möge ihn davor bewahren, etwa krank?«
Der Bäcker schöpfte mit einem Becher etwas Wasser aus einem Bottich, trank und wischte sich mit dem Unterarm über den Mund, und als er antwortete, fiel Jankel ein seltsames Zögern in seiner Stimme auf: »Ich habe ihn über die Brücke geschickt, zur Kleinseite, dort ist heute großer Markt, er soll Brot verkaufen.«
Der Junge sah, wie das Blut aus Jentes Gesicht wich, ihre ohnehin helle Haut wurde noch blasser und die Sommersprossen auf ihren Wangen traten deutlich hervor. Sie hob abwehrend die Hände. »Du schickst einen jüdischen Bocher einfach zu Christen auf den Markt?«, rief sie. »Weißt du denn nicht, dass sich überall wieder Hass gegen uns regt und dass die judenfeindlichen Gerüchte über die Ufer treten und die Stadt überschwemmen wie die Moldau die Uferauen im Frühjahr nach der Schneeschmelze?«
»Reg dich nicht auf«, sagte der Bäcker beruhigend. »Ich habe Koppel, den Fiedler, gebeten, ihn unauffällig zu begleiten und ein Auge auf ihn zu haben.« Er nahm noch einen Schluck Wasser und seufzte. »Was soll ich denn machen, Jente, die Zeiten sind schwer. Wenn wir nicht verhungern wollen, müssen wir auf die Märkte gehen, um unser Brot zu verkaufen, und keiner kann das so gut wie Schmulik. Soll ich etwa eine meiner Töchter schicken? Der Sohn deiner Schwester ist ein erfahrener Händler, auch wenn er erst siebzehn ist. Er kennt sich aus auf den Märkten, er kennt sich aus mit den
Weitere Kostenlose Bücher