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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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von der Stirn, dann wandte er sich an Mendel. »Der Müller lässt ausrichten, das sei heute wirklich das letzte Mal gewesen, dass er dir Mehl auf Pump gibt. Wenn du wieder etwas willst, musst du erst deine Schulden bezahlen. Er war sehr ungehalten darüber, dass ich mit leeren Händen gekommen bin.« Sein Kopf mit dem Gesicht, in dem die Augen unter einer auffallend hohen Stirn sehr eng zusammenstanden, war zu groß für die schmalen Schultern. Er sah missmutig aus und auch seine Stimme klang missmutig.
    Der Bäcker verzog das Gesicht und breitete hilflos die Arme aus. »Was soll ich machen«, sagte er. »Ochsen lassen sich nicht melken und Hühner legen keine Dukaten. Hoffen wir, dass Schmulik heute erfolgreich ist, so wie geschrieben steht: Hoffe auf den Ewigen. Sei stark und mutig sei dein Herz, ja, hoffe auf den Ewigen .«
    »Amen«, sagte der Mann. Er warf einen misstrauischen Blick auf den Jungen, dann ging er zum Backofen, machte die eiserne Klappe auf und schob ein paar große Scheite in die Glut. Funken sprühten auf.
    »Das ist Anschel, mein Schwager, der Mann meiner Schwester«, sagte Mendel zu Jankel. »Eigentlich ist Anschel ja Schneider, aber er hilft mir, weil der Ewige, gelobt sei er, mir nur Töchter geschenkt hat.«
    Anschel nickte dem Jungen zu. »Ich mache mich gleich ans Beuteln«, sagte er zu Mendel und dieser nickte. Während Jankel noch überlegte, was Beuteln wohl bedeutete, sah er, wie Anschel ein Sieb nahm und anfing, das Mehl, das er gebracht hatte, in eines der Fässer zu sieben, die Kleie, die im Sieb zurückblieb, kippte er in das zweite. Mehlstaub erfüllte die Backstube und setzte sich auf die Menschen und auf die Dinge, auch auf die, welche Jankel gerade gesäubert hatte.
    Nach einer Weile breitete Mendel ein großes Tuch über den gekneteten Teig und sagte zu dem Jungen: »Der Teig soll jetzt gehen, dazu muss er warm liegen und vor Zugluft geschützt sein, deshalb decken wir ihn ab.« Er nickte ihm freundlich zu. »Keine Sorge, das wirst du alles noch lernen. Aber jetzt komm, es ist Zeit zum Mittagessen.«
    Anschel legte das Sieb aus der Hand und der Junge richtete sich erleichtert auf. Endlich! Vom vielen Bücken tat ihm der Rücken weh, und er hatte das Gefühl, in der Hitze zu verdorren wie ein Halm in der Wüste.
    Sie zogen ihre Schürzen aus und wuschen sich am Brunnen im Hof Gesicht und Hände, bevor sie hinübergingen ins Haus, in die Küche, in der es nach Kohl und Schmalz und Knoblauch roch. Malke, Mendels dicke, freundliche Frau, stellte das Essen auf den Tisch. Sie bewegte sich flink durch die Küche, und ihre Bewegungen gingen so fließend in einander über, dass man unwillkürlich an eine rollende Kugel denken musste, wenn man ihr zusah. Ein Mädchen half ihr, eines an der Grenze zwischen Kind und Frau, ein schönes Mädchen mit braunen Locken, und wenn sie lachte, bekam sie Grübchen in die Wangen und entblößte eine Reihe kleiner, ungemein hübscher Zähne. »Das ist Fejgele, meine jüngste Tochter«, sagte Mendel und zwickte das Mädchen zärtlich in die Wange.
    Sie setzten sich und beteten. »In der Backstube darfst du höchstens mal eine Zwiebel kauen, um den Raum nicht durch milchiges oder fleischiges Essen unrein zu machen«, sagte der Bäcker, als sie Brot in ihre Rettichsuppe brockten. »Habt ihr bei euch zu Hause auch einen Bäcker, Jankel?«
    Jankel schüttelte den Kopf. Er warf noch einen verstohlenen Blick zu Fejgele, die verlegen die Augen senkte, dann erzählte er von Mo ř ina, von ihrem Backhaus, in dem die Frauen das Brot für zwei Wochen backen mussten. Und er erzählte von den Kinderkringeln.
    Mendel lachte. Fejgele schöpfte für Jankel noch eine Kelle Suppe nach. Als sie sprach, hörte Jankel zum ersten Mal ihre Stimme, eine seltsam raue Mädchenstimme, die ihn tief berührte. Sie sagte, ihr Vater habe ihnen früher, als sie klein waren, manchmal Buchstaben aus Brotteig gebacken. Zarte Röte stieg von ihrem Hals in die Wangen, und sie wandte den Kopf zur Seite, als sie die Blicke der Männer spürte. Dann kamen ihre Schwestern Lea und Gittel, die beide etwas älter waren als Fejgele, unter einem Vorwand in die Küche und flüsterten mit ihrer Mutter, wobei sie dem neuen Bäckerjungen neugierige Blicke zuwarfen, bevor sie kichernd verschwanden. Auch Lea und Gittel besaßen ein angenehmes Äußeres, aber sie waren nicht so schön wie ihre jüngste Schwester und keine von beiden bekam Grübchen in die Wangen.
    Nach dem Dankgebet gingen sie zurück

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