Golem stiller Bruder
in die Backstube. Später, als Mendel anfing, den Teig abzustechen, die Portionen zu wiegen und zum nochmaligen Gehen auf den Tisch zu legen, brach er ein Bröckchen ab, nicht größer, als es in Jankels Handfläche passte, und sagte: »Hier, nimm. Du bist ja nun zu groß dafür, aber wenn du willst, kannst du nachher einen Kinderkringel für deine kleine Schwester backen.«
»Danke«, sagte Jankel und seine Stimme kippte vor Freude. Er machte sich mit neuem Mut an die Arbeit und bemühte sich, jeden Auftrag schnell auszuführen, auch wenn es ihm allmählich schwerfiel. Seine Glieder schmerzten, und immer wieder musste er einen Schluck Wasser trinken, um nicht ganz auszutrocknen und um den Mehlgeschmack aus seinem Mund zu vertreiben, denn Anschel war noch lange nicht mit dem Sieben fertig.
Im Hof war ein Poltern zu hören, Räder rollten über Steine, etwas Hölzernes krachte zu Boden. »Endlich«, sagte der Bäcker, »dem Ewigen sei Dank, er ist wieder da.«
Jankel drehte sich neugierig um und sah einen jungen Mann hereinkommen, einen Bocher, dessen Haare ebenso rot waren wie Jentes. Auf einmal war die Luft nicht mehr so heiß und stickig, es war, als wäre zusammen mit ihm ein frischer, kühler Windstoß hereingedrungen, der das Atmen leichter und angenehmer machte. Der Bocher lachte, klatschte in die Hände und reckte triumphierend eine Faust in die Luft.
»Gelobt sei der, der deinen Fuß gelenkt hat, der seine Hand über dich hielt und dich gesund zurückkehren ließ«, sagte Mendel. Er umarmte den jungen Mann und küsste ihn auf die Stirn, wie ein Vater seinen Sohn küsst. Selbst Anschels Miene hellte sich auf, und seine Lippen verzogen sich zu etwas, das wohl ein Lächeln sein sollte.
S o war Schmulik. Jeder empfand Freude, wenn er ihn sah, oder wie Tante Schejndl immer sagte, ein fröhliches Herz tut dem Leibe wohl, aber ein betrübtes Gemüt lässt den Leib verdorren . Mein Herz wurde jedenfalls fröhlich, als ich ihn sah. Das lag nicht nur an seinen roten Haaren, auch wenn er wirklich so aussah, wie es über König David geschrieben steht: rötlich mit schönen Augen und von guter Gestalt . Ich empfand etwas anderes, was ich damals noch nicht kannte, denn ich hatte noch nie einen Freund gehabt. Schmulik drehte sich zu mir um und musterte mich neugierig. »Friede sei mit dir, Jankel«, sagte er schließlich. »Wenn du ein richtiger Bäcker werden willst, musst du aber noch eine ganze Menge Brot essen.«
»Woher weißt du meinen Namen?«, fragte ich erstaunt.
Er lachte und legte den Arm um meine Schulter, so vertraut, als würden wir uns schon lange kennen. »Glaubst du etwa, dass in der Judenstadt irgendetwas ein Geheimnis bleibt? Hier haben die Wände Ohren und die Neuigkeiten Flügel. Manche sind wie Schmetterlinge und andere wie giftige Skorpione. Hüte dich, hier weiß dein Nachbar schon, was du sagen willst, wenn du selbst noch dabei bist, die Wörter in deinem Kopf zu sortieren.« Er war ein Jahr älter und ein ganzes Stück größer als ich und seine Stimme war tief, aber der helle, rötliche Flaum in seinem Gesicht war so spärlich und weich, dass man ihn kaum sah. Er ließ meine Schulter los und stieß mir den Ellenbogen in die Seite. »Vergiss nicht, dass Jente meine Tante ist«, sagte er. »Sie ist noch vorgestern Abend zu uns gekommen, gleich nachdem ihr eingeschlafen wart, du und deine Schwester.«
Ich senkte den Kopf. Mich bedrückte der Gedanke, was sie wohl über uns erzählt hatte. Zwei schmutzige, ausgehungerte Bettelkinder, zwei armselige, bedauernswerte Geschöpfe, die angewiesen sind auf das Mitleid anderer, der Ewige möge uns vor diesem Schicksal bewahren? Ich hätte es vorgezogen, einen besseren Eindruck auf ihn zu machen. Ich hob den Kopf, aber seinem schönen, knabenhaften Gesicht war nicht anzusehen, was er dachte.
S chmulik zog seine Jacke aus, knotete eine Geldtasche ab, die er sich um den Bauch gebunden hatte, und reichte sie dem Bäcker. »Ich habe alles verkauft«, sagte er. »Gut verkauft. Du wirst zufrieden sein.«
Über Mendels Gesicht ging ein Strahlen, als er den Beutel aufmachte und die Geldstücke zählte. »Siehst du, Anschel«, rief er, »wenn man nur fleißig ist und die Gebote befolgt, lässt einen der Ewige, gelobt sei er, nicht im Stich. Beim nächsten Mal wirst du dem Müller das Geld geben können, das ich ihm schulde.«
Er brachte den Beutel hinüber ins Haus, und als er zurückkam, erkundigte er sich, wie die Stimmung in der Stadt gewesen sei und ob
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