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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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plötzlich.
    Schmulik blieb stehen, schaute seinen Freund an. »Ja«, sagte er, »ja, das glaube ich. Die Leute sagen, er könne den Lauf der Gestirne zeigen und die Geburt eines Sterns. Und sie sagen auch, er hätte schon Kranke nur durch die Kraft seines Gebets geheilt.«
    Jankel zögerte, dann fragte er: »Sind es göttliche Kräfte oder Kräfte des Bösen?«
    »Wer kann das schon wissen?«, sagte Schmulik, drehte sich schroff um, überquerte die Straße, bog um die Ecke und verschwand.
    Zu Hause ging Jankel sofort in seine Kammer. Er fand einen Teller mit einer Scheibe Brot und einem Apfel neben seinem Lager, aber er war zu aufgewühlt, um noch etwas zu essen, er legte sich ins Bett, verschränkte die Arme unter dem Kopf und lauschte. Es dauerte nicht lange, da hörte er, wie der Hohe Rabbi und Josef das Haus betraten. Sie gingen zuerst die Treppe hinauf, dann die Stiege zur Bodenkammer. Kurz darauf kehrte der Rabbi zurück, die Tür seines Studierzimmers wurde geöffnet und wieder geschlossen.
    I ch war viel zu unruhig, um zu schlafen. Ich lag lange wach und grübelte über alles nach, was ich gesehen hatte. Immer wieder wanderten meine Gedanken zu Josef, diesem seltsamen Mann, der heute, wie Schmulik meinte, Schlimmeres verhütet hatte. Ein erschlagener Jude ist schlimm genug, dachte ich, aber zehn erschlagene Juden sind schlimmer. Oder hundert oder tausend. Oder sogar dreitausend, wie damals.
    Plünderungen hatte es bei uns in Mo ř ina auch schon gegeben, auch Angriffe gegen einzelne Juden, Verhöhnungen, Prügeleien. Aber totgeschlagen wurde noch nie jemand, jedenfalls nicht, solange ich mich erinnern konnte. Einmal ist in Mo ř ina ein junger Jude zusammengeschlagen worden, weil ein Christenmädchen behauptet hatte, er habe ihr nachgestellt und ihr schöne Augen gemacht. Ihre Brüder und deren Freunde hätten ihm aufgelauert, hat Tante Schejndl erzählt, und ihn verprügelt und wie tot liegen gelassen. Aber er war nicht tot, seine Mutter hat ihn gefunden. Er war sehr lange krank, und man wusste nicht, ob er überhaupt am Leben bleiben würde. Danach war er ein Krüppel und musste sich mit Korbflechten seinen Lebensunterhalt verdienen, etwas anderes konnte er nicht mehr arbeiten. Ich habe ihn nicht anders kennengelernt als krumm und lahm. Die Kinder spotteten über ihn, wenn er die Straße entlanghumpelte, und Tante Schejndl hat mich einmal hart dafür bestraft, als ich mich an diesem Treiben beteiligte. Danach hat sie mir seine Geschichte erzählt und gesagt, dass er vorher so schlank und gerade gewesen war wie der Stamm einer Zeder.
    Ich dachte auch daran, dass ich heute Abend nicht bei Rochele gewesen war, das erste Mal, seit sie bei Frume lebte, der Tochter Rabbi Löws, und ich fragte mich, ob sie mich überhaupt vermisst hatte.
    Das Herz lag schwer in meiner Brust.

6. Kapitel
Elohim emet
    D er Ewige, gelobt sei er, unterschied zwischen Licht und Finsternis, zwischen Tag und Nacht, damit der Mensch zur Ruhe komme und sich von des Tages Werk erhole. Wenn die Dunkelheit über die Judenstadt sank, erlosch das geschäftige Treiben, die Menschen zogen sich in ihre Häuser und Stuben zurück, und fromme Männer beugten sich über die heiligen Schriften. Nur in den wenigen Schänken saßen diejenigen, die lieber feierten als lernten, die sich lieber den diesseitigen Zerstreuungen hingaben als der Sehnsucht nach dem ewigen Leben. Aber wer tagsüber schwer gearbeitet hatte, brauchte die Nacht, um die müden Glieder auszuruhen und Kraft für den kommenden Tag zu sammeln.
    Jankel war müde. Er war nach der Arbeit mit Schmulik zum Haus Jizchaks, des Toraschreibers, gegangen, sie hatten Rochele, Surele und Rejsele abgeholt, um mit ihnen zum Dreibrunnenplatz zu gehen, wo Koppel, der Fiedler, für die Kinder aufspielte, als Dank für die neue Fiedel, die er von Reb Meisel erhalten hatte. Die Mädchen waren fröhlich mit allen Kindern herumgehüpft, sie hatten sich an den Händen gefasst und waren im Kreis herumgesprungen wie Fohlen auf einer Weide. »Komm, tanz mit mir«, hatte Rochele gerufen. Früher hätte Jankel das wohl getan, aber jetzt fühlte er sich zu alt dafür. Er hatte sich mit Schmulik an eine Hauswand gesetzt und sie hatten den Kindern zugeschaut. Dabei waren ihm immer wieder die Augen zugefallen, und er war froh gewesen, als es anfing zu dämmern und sie die Kinder nach Hause brachten.
    Gleich nach dem Abendessen und dem Beten ging er ins Bett und hoffte auf einen ruhigen, erholsamen Schlaf, doch

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