Golem stiller Bruder
zu schreiben, worin er ihn bat, unverzüglich nach Prag zu kommen und Perl zu heiraten. So geschah es. Juda Löw reiste nach Prag und heiratete Perl, die damals eine schöne junge Frau war.«
»War es wirklich der Prophet Elijahu, der ihr den Sattel zugeworfen hat?«, fragte Jankel.
»Wer soll es sonst gewesen sein?«, sagte Jente und stand auf. »Komm, wir müssen jetzt zur Schul.«
Jankel schwieg auf dem Weg, er war in seine Gedanken versunken, doch als er in der Altneuschul den Hohen Rabbi Löw sah, lächelte er.
I ch war ein wenig verwirrt. Jentes Geschichte hatte mir gefallen, sie hatte mir auch gutgetan, denn der Hohe Rabbi Löw war dadurch, dass ich ihn als jungen Mann kennengelernt hatte, auf einmal weniger furchteinflößend, er war eher zu dem Onkel geworden, den ich mir auf der langen Reise von Mo ř ina nach Prag erwünscht hatte. Es war, als gäbe es auf einmal zwei Männer, einmal den Hohen Rabbi Löw und einmal den Onkel, den ich jetzt erst sehen konnte. Was hatte Schmulik gesagt? Furcht und Ehrfurcht sind manchmal schwer zu unterscheiden.
Außerdem ging mir Jente nicht aus dem Kopf, ich sah sie vor mir, mit welcher Innigkeit sie von der Verlobung Perls mit dem jungen Gelehrten gesprochen hatte. Und ich überlegte mir, warum mein Vater nach dem Tod meiner Mutter nicht noch einmal geheiratet hatte, eine Stiefmutter wie Jente wäre eine gute Lösung gewesen. Doch sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen, Tante Schejndl hatte Rochele und mich so liebevoll versorgt, wie eine Stiefmutter es vielleicht gar nicht gekonnt hätte. Ich betete für ihre Genesung, aber auch beim Beten schoss es mir durch den Kopf, dass Jente eine wunderbare Stiefmutter gewesen wäre.
N ach dem Mittagessen, das sie nur zu dritt einnahmen, weil Tante Perl bei ihrer Tochter geblieben war, um ihr zu helfen und sich um die Kinder zu kümmern, ging Jankel zum Haus des Toraschreibers. Er wollte ihm und seiner Frau Frume zur Geburt ihres Sohnes gratulieren und dem Kind den Segen des Allmächtigen wünschen.
Rochele, Rejsele und Surele empfingen ihn mit vor Aufregung geröteten Wangen. »Der Ewige hat Jizchak und Frume einen neuen Sohn geschenkt!«, rief Rochele. »Und uns einen neuen Bruder. Komm, ich zeige ihn dir!«
Jankel fühlte einen Stich im Herzen, als er das »uns« hörte, und er musste sich auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen: Du hast nur einen Bruder und das bin ich. Doch als er dann den Säugling sah, das Gesicht mit den geschlossenen Augen, den süßen Mund mit der deutlichen Vertiefung mitten über der Oberlippe, da, wo der Engel dem Ungeborenen den Finger auflegt, um ihm den Mund zu verschließen, nachdem er ihm sein zukünftiges Leben erzählt hat, lachte er und sagte: »Bei ihm hat der Engel aber besonders fest zugedrückt.«
Die Mädchen lachten auch und streichelten ehrfürchtig die kleinen Fäustchen, die sich unter der Berührung öffneten und wieder schlossen.
Tante Perl, die mit dem kleinen Jossele und Jizchak in der Küche war, rief Jankel und bot ihm ein Stück des Kuchens aus Karotten und Nüssen an, den Frume noch am Freitag gebacken hatte. Jankel gratulierte Jizchak, dessen Haare vor freudiger Erregung noch wilder vom Kopf abstanden, und sagte: »Der Ewige möge den Kleinen segnen und ihm ein langes Leben schenken.«
Tante Perl war so glücklich, weil die Geburt gut abgelaufen war und weil Mutter und Kind gesund und wohlauf waren, dass sie ständig die Mädchen und Jossele umarmte und küsste, und als Jankel sich verabschiedete, um sich mit Schmulik zu treffen, küsste sie ihn auch.
I ch war sehr verwirrt, als ich das Haus verließ. Es war die Freude über das neugeborene Kind, die mich seltsam berührte, und ich begriff auch, warum das so war. Ich erinnerte mich an den Tag, als Rochele geboren wurde, und es tat mir leid, dass sich damals niemand über sie gefreut hatte. Mir war, als hätte man ihr etwas vorenthalten, was jedem Neugeborenen zusteht.
»Lauf zu Zunzi, und sage ihr, es wird Zeit, meine schwere Stunde ist gekommen«, hatte meine Mutter gesagt. Das waren die letzten Worte, die ich von ihr gehört hatte, und ihr schmerzverzerrtes, angstvolles Gesicht war das Letzte, was ich von ihr gesehen hatte. Als ich mit Zunzi zu unserem Haus zurückkam, stand die Nachbarin vor unserer Tür. »Schnell«, rief sie Zunzi zu, »es geht ihr nicht gut.«
Zunzi riss die Tür auf und stürzte ins Haus, doch als ich ihr folgen wollte, packte mich die Nachbarin am Arm und hielt mich zurück. »Du darfst
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