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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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Schaufenster hingen riesige rote Würste an Schnüren neben geflochtenen Zöpfen aus Knoblauchknollen. Ein warmer beißender Geruch drang aus der offenen Tür. »Den Rest des Wegs kann ich allein gehen«, sagte sie.
    »Bist du sicher?«
    Sie nickte. Sie waren nur noch ein paar Blocks von der Bowery entfernt, und dahinter begann ihr Viertel. »Das ist in Ordnung«, sagte sie.
    Sie standen nebeneinander, beide ein wenig nervös.
    »Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen sollten«, sagte sie.
    Er runzelte die Stirn. »Misstraust du meinen Absichten immer noch?«
    »Nein, aber deiner Großmut. Wir haben einander geärgert.«
    »Ich vertrage ein bisschen Ärger«, sagte er. »Und du?«
    Es war eine Herausforderung, aber auch ein Angebot. Er hatte sie wirklich geärgert und sie dazu gebracht, dass sie sich schämte; aber sie hatte auch zum ersten Mal seit dem Tod des Rabbis frei von der Leber weg geredet. Sie spürte, wie sich etwas in ihr entspannte, das nichts mit ihrem steifen Körper zu tun hatte.
    »In Ordnung«, sagte sie. »Unter einer Bedingung.«
    »Und die wäre?«
    »Wenn Schnee oder Regen droht, musst du einen Hut tragen. Ich will nicht die Verantwortung für deine Gesundheit übernehmen.«
    Er verdrehte die Augen. »Wenn es sein muss«, sagte er, und sie bemerkte die Andeutung eines Lächelns. »Nächste Woche zur selben Zeit?«
    »Ja. Und jetzt geh bitte ins Trockene. Auf Wiedersehen.« Sie wandte sich ab und marschierte davon.
    »Bis nächste Woche«, rief er ihr nach. Doch sie war bereits um die Ecke, und er konnte nicht mehr sehen, wie sie lächelte.

    »Ich habe doch gesagt, dass ich wiederkommen werde«, sagte der Dschinn zur träumenden Fadwa. »Hast du daran gezweifelt?«
    In ihrem Traum standen sie auf dem Grat nahe dem Lager ihrer Familie, von wo aus sie zum ersten Mal seinen Palast gesehen hatte. Es war Nacht, aber immer noch warm. Der Boden unter ihren Füßen war weich. Sie trug nur ein dünnes langes Hemd, doch sie war nicht verlegen.
    »Nein«, sagte sie. »Nur – es ist so lange her, seitdem ich dich gesehen habe. Viele Wochen.«
    »Für dich ist das vielleicht eine lange Zeit«, sagte er. »Aber wir Dschinn sehen uns oft jahrelang nicht, ohne uns dabei etwas zu denken.«
    »Ich dachte, du hättest dich vielleicht über mich geärgert. Oder …« Sie hielt inne, und dann brach es aus ihr heraus: »Irgendwann war ich überzeugt davon, dass du nur ein Traum bist! Und dann habe ich geglaubt, dass ich verrückt werde!«
    Er lächelte. »Ich bin sehr wirklich, da kann ich dich beruhigen.«
    »Ja, aber wie kann ich sicher sein?«
    »Du hast doch meinen Palast gesehen.« Er deutete hinunter ins Tal. »Wenn du in diese Richtung gehst und Glück hast, stößt du auf eine Lichtung ohne Gestrüpp und Felsen. Dort steht mein Palast.«
    »Könnte ich ihn wieder sehen?«
    »Nein – er ist unsichtbar, außer ich wollte es anders.«
    Sie seufzte. »Du musst wirklich
völlig
anders leben, wenn du glaubst, dass mich das beruhigt.«
    Er musste lachen. Seltsam, dass ihn ein Menschenmädchen zum Lachen bringen konnte! Doch sie runzelte immer noch unzufrieden die Stirn. Vielleicht hatte er doch zu lange gewartet. Er hatte noch viel zu lernen, was das kurze Leben der Menschen und ihr ständiges Gefühl der Dringlichkeit betraf.
    Er streckte die Hand, wusste immer noch nicht genau, wie er es machte. Ein Wirbel aus Sternen und Wüste – und dann waren sie wieder in seinem Palast, zwischen den dunklen Mauern aus Glas und den bestickten Kissen. Diesmal stand auf den Kissen ein Festmahl: Platten mit Reis, Lammfleisch und Joghurt, Fladenbrot und Käse und Krüge mit kristallklarem Wasser.
    Fadwa lachte entzückt.
    »Das ist für dich«, sagte er. »Bitte iss.«
    Und sie aß und plauderte, erzählte ihm von kleinen Erfolgen, von einem kranken Lamm, das sie gesund gepflegt hatte, vom Sommer, der bisher relativ mild gewesen war. »In der Quelle ist sogar noch Wasser«, meinte sie. »Mein Vater sagt, dass es für diese Jahreszeit ungewöhnlich ist.«
    »Dein Vater«, sagte der Dschinn. »Erzähl mir mehr über ihn.«
    »Er ist ein guter Mann«, versicherte sie ihm. »Er ist für uns alle verantwortlich. Meine Onkel schauen zu ihm auf, und mein ganzer Stamm respektiert ihn. Wir sind einer der kleinsten Hadid-Clans, aber wenn wir uns alle versammeln, fragen ihn andere um Rat, bevor sie dem Scheich eine wichtige Sache vorlegen. Wenn sein Vater der erste Sohn meines Urgroßvaters gewesen wäre und nicht der dritte, dann

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