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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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und dass er nie allein nach Hause zurückfinden würde. Aber das alles war gleichgültig. Wichtig war nur, dass er so weit wie möglich von diesem
Ding
, von diesem Ungeheuer – was immer es war – fortkam, das ihm gegenüber am Tisch gesessen und wie ein Mensch gesprochen hatte.
    Er stieß mit dem geprellten Arm gegen einen Laternenpfahl, und dann sah er nur noch Sterne. Ein vertrauter, schrecklicher Schwindel überkam ihn.
    Als er erwachte, lag er auf dem Gehweg und hatte Schaum vor dem Mund. Männer gingen um ihn herum, andere beugten sich über ihn und sprachen ihn an. Rasch blickte er weg von ihren Gesichtern und starrte stattdessen auf den Gehweg. Ein Paar Schuhe trat in sein Sichtfeld. Ihr Besitzer ging vor ihm in die Hocke; das schöne schreckliche Gesicht des glühenden Mannes befand sich nur Zentimeter vor seinem.
    »Um Gottes willen«, keuchte Saleh, »lass mich einfach sterben.«
    Der Dschinn schwieg, als würde er ernsthaft darüber nachdenken. »Ich glaube nicht«, sagte er. »Noch nicht.«
    Hätte er die Kraft gehabt, hätte er den Mann abgewehrt. Doch wieder wurde er hochgehoben und getragen, diesmal wie ein Kind und nicht wie ein Sack Getreide, fest an die Brust seines Entführers gedrückt. Er schloss vor Scham die Augen. Erschöpfung ließ ihn das Bewusstsein verlieren.
    In der Hochbahn erwachte er kurz. Er stöhnte und versuchte aufzustehen, wurde jedoch von einem Paar glühender Hände festgehalten und versank wieder in Bewusstlosigkeit. Die anderen Fahrgäste blickten über den Rand ihrer Zeitungen und fragten sich, was diese beiden merkwürdigen Männer wohl für eine Geschichte hatten. Als Saleh wieder erwachte, lag er in einem Eingang in Sichtweite von Maryams Kaffeehaus. Unter Schmerzen stand er auf und torkelte die Stufen hinunter. Auf der Straße leuchtete wie ein zweiter Mond der Kopf des glühenden Mannes und verschwand in der Ferne.

    Als er Saleh im Hauseingang in der Washington Street ablegte, fragte sich der Dschinn, ob auch er verrückt geworden war. Warum hatte er nicht getan, worum Saleh gebeten hatte, und ihn sterben lassen? Schlimmer noch, warum hatte er ihm sein Wesen enthüllt?
    Er ging an Arbeelys dunkler Werkstatt vorbei, und erst da fiel ihm der Grund für die Missgeschicke dieses langen Tages wieder ein. Erneut stieg Zorn in ihm auf, frisch und schmerzhaft. Arbeely hatte die Decke mittlerweile bestimmt auseinandergenommen. Er ertrug es nicht, hineinzugehen und nachzuschauen; er hatte zu viel Herzblut in die Decke gesteckt, um sie zerstört, in Schrott verwandelt zu sehen.
    Er war so in diese Gedanken vertieft, dass er den Mann, der vor seiner Wohnungstür lag, erst bemerkte, als er fast über ihn gestolpert wäre. Es war Arbeely. Der Kupferschmied lag eingerollt auf dem Boden, sein Kopf ruhte auf einem zusammengefalteten Schal. Leises Schnarchen drang aus seinem halb geöffneten Mund.
    Der Dschinn blickte hinunter auf den schlafenden Besucher. Dann trat er den Mann unsanft in die Seite.
    Arbeely schoss hoch, blinzelte und stieß sich den Kopf am Türrahmen an. »Da bist du ja.«
    »Ja«, sagte der Dschinn, »und ich würde gern in meine Wohnung gehen. Soll ich die Losung erraten, oder willst du mir ein Rätsel stellen?«
    Arbeely rappelte sich hoch. »Ich habe auf dich gewartet.«
    »Das sehe ich.« Er öffnete die Tür, und Arbeely folgte ihm. Der Dschinn dachte nicht daran, die Lampe anzuzünden; er sah gut genug und wollte es dem Mann nicht zu gemütlich machen.
    Arbeely schaute sich in der Düsternis um. »Hast du keine Stühle?«
    »Nein.«
    Arbeely zuckte die Achseln, setzte sich auf ein Kissen und grinste den Dschinn an. »Maloof hat die Decke gekauft.«
    Der Dschinn hatte sich schon so mit seinem Verlust abgefunden, dass es ihm die Sprache verschlug. »Ich habe nicht lang gebraucht, um ihn zu finden«, fuhr Arbeely gut gelaunt fort. »Ich musste einem Jungen namens Matthew zehn Cent zahlen. Er erledigt Aufträge für Maloof, sammelt die Miete ein und so. Du wirst ihn morgen kennenlernen.« Er schaute sich in der Wohnung des Dschinns um. »Warum ist es so dunkel hier?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zur nächsten Lampe. »Wo hast du Streichhölzer?«
    Entnervt starrte der Dschinn ihn nur an.
    Arbeely lachte. »Natürlich! Wie dumm von mir.« Er deutete auf die Lampe. »Könntest du?«
    Der Dschinn hob das Glas ab, drehte am Ventil und schnalzte mit den Fingern über der Düse. Das Gas brannte mit blauer Flamme. »Da hast du Licht«, sagte er. »Und jetzt

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