Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
ihr seine Hand und wandte sich ab. »Ich bezweifle, ob schiere Kraft dafür ausreichen wird«, sagte er. »Aber danke, dass du es versucht hast.« Er rollte eine weitere Zigarette. »Es wird spät«, sagte er. »Du willst bestimmt nach Hause.«
»Ja«, murmelte sie.
Gemeinsam gingen sie über die Dächer zurück, vorbei an Männern, die ein frühes Frühstück aus Brot und Bier zu sich nahmen, an Jungen, die sich unter Decken zusammengerollt hatten, an Scotty, der an die Mauer gelehnt schlief. In der Nähe ihrer Pension fanden sie eine Feuerleiter und stiegen hinunter, duckten sich unter Wäscheleinen und balancierten über fehlende Stufen. Unten in der Gasse verabschiedeten sie sich wie gewöhnlich. Als sie um die Ecke bog, blickte sie zurück und war überrascht, dass er immer noch dastand und ihr nachsah, als wäre er zutiefst verwirrt: ein großer Mann mit einem leuchtenden Gesicht, der fremdeste und vertrauteste Anblick in der ganzen Stadt.
Arbeely hatte richtig gelegen, was das Aufsehen betraf, das die geschmiedete Decke erregte. Im Viertel hatte sich die Nachricht verbreitet, dass Arbeelys Lehrling eine bizarre Blechskulptur erschaffen hatte, die er in Maloofs Hauseingang aufhängen wollte. Bald drängten sich die Besucher in der Werkstatt. Der Dschinn war nicht begeistert über die ständigen Unterbrechungen und wahrte bald nicht einmal mehr den Anschein von Höflichkeit. Schließlich ließ Arbeely nur noch zahlende Kunden in die Werkstatt.
Die einzige Person, der ausnahmsweise Zugang gewährt wurde, war der junge Matthew Mounsef. Der Junge kam mittlerweile jeden Tag nach der Schule in die Werkstatt und sah dem Dschinn bei der Arbeit zu. Wider alle Erwartungen schien der Dschinn Matthew zu mögen, vielleicht weil der Junge meistens schwieg. Gelegentlich beauftragte ihn der Dschinn mit kleinen Aufgaben und Besorgungen, damit er seine Hände benutzen konnte, solange Matthew nicht hinsah. Für diese Dienste zahlte der Dschinn dem Jungen ein paar Pennys, hin und wieder fünf Cent, und wenn er sehr milde gestimmt war, schenkte er ihm ein kleines Blechtier, das er aus einem Stück Abfall geformt hatte.
In der ersten Begeisterung und Ekstase hatte der Dschinn geglaubt, dass er in vier, höchstens fünf Tagen mit der Decke fertig wäre, doch er wurde eines Besseren belehrt. Nie zuvor hatte er so anspruchsvolle Besonderheiten erfüllen müssen. Er konnte die Decke nicht einfach annäherungsweise ausmessen; sie musste nahezu auf den Millimeter genau gearbeitet sein, sonst würde sie nicht passen. Einen ganzen Tag verbrachte er auf einer Leiter im Eingang des Hauses, maß aus, überprüfte und rief Matthew Zahlen zu, die dieser gewissenhaft in einem kleinen Büchlein notierte. Anschließend riss er die alten Blechplatten herunter, eine schmutzige Arbeit, nach der er mit Spinnweben und Gipsstaub bedeckt war. Dann wurde die Eingangsdecke neu verputzt und sorgfältig geglättet. Alles in allem eine mühsame, beschwerliche Plackerei. Mehrmals dachte der Dschinn daran, das Projekt aufzugeben, das Blech einzuschmelzen, aber irgendetwas hielt ihn immer ab. Die Decke schien jetzt allen zu gehören – Maloof, Matthew, Arbeely, den Hausbewohnern, den Wohlwollenden, die ihn auf der Straße ansprachen und sich erkundigten, wie es voranging. Auf merkwürdige Weise hatte er nicht mehr das Recht, sie zu zerstören.
Endlich waren die Vorbereitungen beendet. Arbeely sah mit zum Zerreißen gespannten Nerven zu, wie der Dschinn die fertige Decke entlang den Linien von Tälern und steilen Abhängen in große, unregelmäßig geformte Teile zu einem gigantischen Puzzle aus Blech zerschnitt. Sie luden die Einzelteile auf einen mit Stroh gepolsterten Wagen und zogen ihn zu Maloofs Haus. Matthew erwartete sie so aufgeregt, dass Arbeely es nicht über sich brachte, ihn zu fragen, ob er nicht eigentlich in der Schule sein sollte. Bald darauf kam auch Maloof. Der Dschinn war überrascht, als der Hausbesitzer die Ärmel hochkrempelte und mit anpackte.
Die Decke anzubringen dauerte fast den ganzen Tag. Die größte Schwierigkeit bestand darin, die Teile so ruhig festzuhalten, dass sie angenagelt werden konnten. Der Dschinn, Arbeely und Maloof standen jeder auf einer Leiter, die sie ständig verrücken mussten, was zu Streit und Zornausbrüchen führte. Jedes Mal, wenn jemand hereinkam, mussten zwei Leitern aus dem Weg geräumt werden, während der Dschinn das halb befestigte Gebilde festhielt. Im Lauf des Tages versammelten sich immer mehr
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