Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
hatten. Der Park war zu still, zu friedlich für einen Streit. Er dachte erneut daran, von der Blechdecke zu erzählen, sah aber keine elegante Möglichkeit, die Unterhaltung darauf zu bringen. Sie würde ihn für ein Kind halten, das gelobt werden wollte.
Eine Weile saßen sie auf dem Rand des Beckens – der Dschinn vergaß keinen Augenblick das Wasser in seinem Rücken – und sahen zu, wie das Wasser des Sees gegen die Terrasse schwappte. Nebel war aufgezogen und brachte seine Haut zum Kribbeln. Chavas Gestalt an seiner Seite war kühl und solide. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schaute zum Himmel empor. Auch hier im Park erhellten die Lichter der Stadt den Dunst aus Wolken und verliehen ihm Tiefe und Struktur.
»Ich wünschte, mein Leben könnte immer so sein«, sagte Chava. »Ruhig. Friedlich.« Sie schloss die Augen, und wieder schien es, als horchte sie auf etwas.
»Du solltest an einem deiner freien Samstage herkommen«, schlug er vor. »Untertags ist es ganz anders.«
»Ich kann nicht allein kommen«, sagte sie geistesabwesend.
Er wollte widersprechen, aber dann erinnerte er sich daran, wie auffällig Sophia gewesen war, eine Frau allein am Brunnen. Chava war nicht so schön wie sie, dennoch erregte sie Aufmerksamkeit. Ein Aufpasser war vielleicht nicht die schlechteste Idee. »Was ist mit deinem Freund Michael? Er könnte dich begleiten.«
Sie öffnete die Augen und sah ihn komisch an. »Lieber nicht.«
»Warum? Habt ihr gestritten?«
»Nein, das nicht. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seitdem wir in Brooklyn waren. Aber er könnte – mein Angebot missverstehen.«
Er runzelte verständnislos die Stirn, bis ihm wieder einfiel, was er vergessen hatte: Dieser Freund wollte mehr von ihr, und das war ihr unangenehm. »Es wäre ein Nachmittag im Park und keine lebenslange Ehe.«
Sie zuckte zusammen. »Er ist ein guter Mensch. Ich möchte ihm nichts vormachen.«
»Und deswegen wirst du ihn für den Rest seines Lebens meiden, damit er keinen falschen Eindruck bekommt.«
»Du verstehst es nicht«, murmelte sie. »Er hat
Verlangen
nach mir. Und es ist sehr heftig.«
»Und hast du überhaupt keine romantischen Empfindungen für ihn?«
»Ich glaube nicht. Es ist schwer zu sagen.«
Er schnaubte. »Vielleicht solltest du ihm tatsächlich beiliegen. Dann wäre vielleicht einiges klarer.«
Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. »Das würde ich nie tun!«
»
Nie?
Du meinst mit ihm oder mit niemandem?«
Sie wandte sich ab. »Ich weiß nicht. Es ist schwer, darüber nachzudenken.«
Das war ein deutliches Signal, sie in Ruhe zu lassen, aber er beschloss, es zu ignorieren. »Eigentlich ist es ganz einfach.
Sie
sind es, die es über alle Maßen verkomplizieren.«
»Typisch für
dich
, dass du so etwas sagst! Und vermutlich soll ich deinem Beispiel folgen und mir jedes nur mögliche Vergnügen gönnen!«
»Warum nicht, wenn du damit niemandem schadest?«
»Damit meinst du, dass dir niemand schadet, denn das ist ja das Wichtigste!« Sie ging ihn voller Zorn an. »Du gehst hierhin und dorthin, und hinterlässt Gott weiß was in deinem Fahrwasser, und dann verachtest du sie dafür, dass sie sich Sorgen über die Folgen ihres Handelns machen. Aber ich muss mir jedes
Ich wünschte, ich hätte nicht
und
Was soll ich jetzt bloß tun
anhören. Du verhältst dich egoistisch und rücksichtslos und unverzeihlich!«
Ihr Zorn schien verpufft. Stirnrunzelnd wandte sie sich in kaltem Schweigen von ihm ab.
Nach einer Weile sagte er: »Chava, habe ich etwas getan, von dem ich nichts weiß? Habe ich jemandem geschadet?«
»Nicht soweit ich weiß«, murmelte sie. »Aber dein Leben wirkt sich auf andere aus, und das scheint dir nicht klar zu sein.« Sie blickte auf ihre Hände, die gefaltet in ihrem Schoß lagen. »Vielleicht ist es unfair, dich anders haben zu wollen. Wir sind, wie wir sind, du und ich.«
Ihre Worte taten ihm weh, mehr als er erwartet hatte. Er wollte sich rechtfertigen – aber andererseits hatte sie vielleicht recht, vielleicht war er egoistisch und rücksichtslos. Und auch er hatte recht, sie war prüde und übervorsichtig. Beide hatten ihre Gründe und ihren eigenen Charakter. Er blickte auf den See hinaus, der dunkel und still vor ihnen lag, ungerührt von ihrer Auseinandersetzung.
»Wir können uns nicht unterhalten, ohne zu streiten.« Ihre Worte waren seinen Gedanken unangenehm ähnlich; manchmal fragte er sich, ob er für sie so undurchschaubar war, wie sie glaubte.
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