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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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sagte der Golem. »Und woher kennst du sie?«
    »Ach, von hier«, antwortete er. »Alle kennen Anna. Aber versteh mich nicht falsch«, fügte er hastig hinzu. »Sie ist nicht, du weißt schon, eine von
denen.
«
    »Natürlich nicht«, erwiderte sie und begriff vage, was er meinte. »Ich dachte, du bist vielleicht ein Freund von Irving. Ihrem Verlobten.«
    Er blickte erstaunt drein. »Sie sind verlobt?«
    »Ja, seit kurzem. Wahrscheinlich hat es sich noch nicht herumgesprochen.«
    »Hm. Was du alles weißt«, sagte Jerry.
    »Überrascht es dich?«
    »Ja, ein bisschen. Irving scheint niemand zu sein, der wild aufs Heiraten ist. Aber na ja«, sagte er lächelnd, »wir müssen uns alle irgendwann entscheiden, oder?«
    Sie erwiderte nichts darauf, sondern lächelte nur. Jerrys Freund tanzte mit Estelle im Arm an ihnen vorbei; Estelle warf ihr über die Schulter ihres Partners aufmunternde Blicke zu.
    »Du tanzt aber gut«, sagte Jerry. »Hast du wirklich gerade erst angefangen?«
    Das Lied war zu Ende, und die Tänzer wandten sich der Bühne zu und applaudierten den Musikern. Der Mann mit dem Taktstock kündigte eine kurze Pause an, die Tänzer kehrten an ihre Tische zurück, und die Kellner brachten ihnen Bier.
    Anna strahlte sie an. »Chava, du hast gelogen! Du hast gesagt, dass du noch nie getanzt hast!«
    »Das habe ich wirklich nicht«, erwiderte der Golem. »Estelle ist eine sehr gute Lehrerin.«
    »Nein, ich habe es dir schon gesagt, du bist eine geborene Tänzerin.« Estelle war mit Jerrys Freund an den Tisch gekommen und saß jetzt wacklig auf dem Knie des jungen Mannes.
    »Aber manchmal muss ich noch auf meine Füße schauen«, sagte der Golem.
    »Ach verflucht, ich schaue immer noch auf meine Füße und tanze schon seit Jahren«, lachte Jerry, und sein Freund schnaubte verächtlich.
    »Chava lässt keine Gelegenheit aus, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen«, rief Anna und wischte sich Bierschaum vom Mund. »Man darf Komplimente ruhig annehmen, Mädchen!«
    Angesichts so vielen Zuspruchs musste der Golem lächeln. »Na gut, ich gebe es zu. Ich bin eine gute Tänzerin.«
    »Darauf trinke ich!«, sagte Estelle und hob ihr Bierglas. Auch Anna trank und lächelte sie an. Klatsch, Koketterie und freundliches Gehänsel bestimmten die Unterhaltung am Tisch, und der Golem saß in der Mitte und fühlte sich seltsam erfreut. Es war eine so ungewohnte Empfindung, von Leuten umgeben zu sein, die Spaß hatten. Natürlich waren da auch Wünsche und Ängste; alle setzten Hoffnungen auf den Abend, und viele befürchteten, allein nach Hause gehen zu müssen, oder hatten Angst vor dem nächsten Arbeitstag. Und dem Golem fiel auf, dass Annas Aufmerksamkeit oft vom Tisch abschweifte, während sie in der Menge nach Irving Ausschau hielt. Doch auch Annas quälende Vorahnung wurde vom Alkohol, dem Geplänkel und der glitzernden Umgebung gedämpft. Mrs. Radzins Warnungen schienen ihr jetzt gemein und sogar lächerlich.
    Die Kapelle begann wieder zu spielen, und diesmal griff Phyllis nach ihrer Hand, und sie tanzten zusammen, bis sich zwei Männer einschalteten. Ihr neuer Partner war ein wesentlich besserer Tänzer als Jerry, und er gab damit an. Er führte sie durch eine Vielzahl komplizierter Figuren, und sie stellte fest, dass sie sie dank seiner Hinweise mühelos ausführen konnte. Überrascht und ermutigt von der Anpassungsfähigkeit seiner Partnerin, entwickelte der junge Mann amouröse Gedanken; er drehte sie durch seinen Arm, und als sie wieder voreinander standen, legte er ihr die Hand auf den Hintern.
    Augenblicklich wollte sie stehenbleiben, sich entschuldigen und von der Tanzfläche rennen. Doch nach kurzem Zögern tat sie, was sie bei den anderen Mädchen gesehen hatte: Sie nahm seine verrutschte Hand und legte sie bestimmt an ihre Taille. Danach hielt er sich zurück. Nach dem Tanz bedankte er sich bei ihr und machte sich auf die Suche nach einer gefügigeren Partnerin. Sie fühlte sich seltsam beschwingt, als hätte sie eine kleine, aber wichtige Schlacht gewonnen.
    »Gut gemacht«, sagte Estelle, nachdem der Golem ihr von dieser Begebenheit berichtet hatte. »Lass dir von Männern wie diesem nicht den Abend verderben. Wenn er deinen Hinweis nicht verstehen will, geh einfach weg und such eine von uns. Wir werden ihn für dich zur Schnecke machen.«
    Die nächste Stunde verging wie im Flug. Sie saß am Tisch, sie tanzte, sie hörte sich Klatschgeschichten an und lächelte über Witze. Der Abend war jetzt in vollem

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