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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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er.
    »Nein, aber ich habe versprochen, dass ich gleich wieder da bin. Und Irving müsste mittlerweile auch gekommen sein. Er ist Annas – ach, das habe ich dir noch gar nicht erzählt. In der Bäckerei ist wieder alles in Ordnung, sie werden heiraten!«
    Wovon um alles in der Welt sprach sie? Er konnte nicht anders, er musste lachen. »Ach, hör auf«, sagte sie und lachte ebenfalls. »Ich werde es dir später erklären.«
    »Aber wird es einen Sinn ergeben?«
    »Wenn du mich weiter auf den Arm nimmst, bleibt es ein Geheimnis. Schau, wir sind da.«
    Sie deutete auf eine bescheidene Tür, aus der laute Musik drang. Sie gaben dem Mann am Eingang ein paar Münzen, und dann waren sie drin.
    Ein langer dunkler Korridor – und von einem Augenblick zum nächsten verschlug es dem Dschinn die Sprache. Es lag nicht nur an der Größe des Saals oder der brodelnden Menschenmenge: Nein, was ihn wie angewurzelt stehenbleiben ließ und ihn in bittersüße Verwirrung stürzte, war die schlichte Tatsache, dass das Ergebnis kaum anders ausgefallen wäre, wenn er mitten in New York seinen weit entfernten und heiß geliebten Palast hätte nachbauen wollen. Die Wände bestanden zwar aus Spiegeln, nicht aus undurchsichtigem Glas; und das Licht stammte von Gaslampen und Kronleuchtern, nicht von der Sonne oder den Sternen; dennoch wies der Saal die gleiche Weite, das gleiche prächtige Durcheinander von glitzerndem Licht und sanften Schatten auf. Er fühlte sich zu Hause wie an keinem anderen Ort in New York, doch angesichts dieser erschreckenden Vertrautheit meinte er, dass die Kluft zwischen seinem Zuhause und ihm selbst größer geworden war. Mehr kannst du dir nicht erhoffen, sagte ihm der Tanzsaal. So viel und nicht mehr.
    »Gefällt es dir?«, fragte Chava. Sie sah ihn besorgt an, und der Ausgang des Abends schien von seiner Antwort abzuhängen.
    »Es ist wunderschön!«, sagte er.
    Sie lächelte. »Gut. Ich habe mir schon gedacht, dass es dir gefallen würde. Schau, dort sind meine Freunde.« Sie deutete auf einen fernen Tisch. »Komm mit, ich werde dich vorstellen.«
    Wieder folgte er ihr, während sie sich höflich durch die Menge schlängelte. Hier waren sie, zwischen Hunderten von Menschen, und sie hatte keine Bedenken, zögerte keine Sekunde. Hatte sich diese Veränderung langsam in ihr angebahnt, und er hatte es einfach nur nicht bemerkt? Ein paar Monate zuvor hatte sie ihr Gesicht auf der Straße versteckt, und jetzt konnte sie es nicht erwarten, ihn ihren Freunden vorzustellen. Und seit wann hatte sie überhaupt Freunde?
    Am Tisch erblickte eine Frau mit einem lächerlichen Hut mit Feder Chava und sagte: »Da bist du ja! Wo bist du nur –« Dann sah sie den Dschinn hinter ihr stehen, und der Rest ihrer Frage ging in Verblüffung unter.
    »Oh, Anna, so ist es nicht«, sagte der Golem sofort. »Er ist ein Freund. Ahmad, das ist Anna aus der Bäckerei, und das sind Phyllis und Estelle. Das hier ist Jerry, mit dem ich getanzt habe, und das ist Jerrys Freund – entschuldige, ich weiß deinen Namen nicht.«
    »Stanley«, sagte ein kleiner Mann mit einem Gesicht, das aussah, als hätte es mehrere Schläge abbekommen.
    »Ahmad, das ist Stanley«, stellte sie ihm triumphierend vor. Sie sprach natürlich Englisch – denn man würde nicht von ihm erwarten, dass er Jiddisch verstand.
    Anna erholte sich als Erste. »Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte sie auf Englisch und schüttelte ihm fest die Hand. Sie war ein hübsches Mädchen, die Attraktivste am Tisch, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass ihn ihr Hut jederzeit anspringen könnte. »Woher kennst du unsere Chava?«
    »Es war reiner Zufall«, sagte er. »Wir sind uns eines Tages in Castle Garden über den Weg gelaufen. Sie hat gesagt, dass sie noch nie im Aquarium war, und ich habe darauf bestanden, mit ihr hinzugehen.« Er schaute vorsichtig zu Chava hinüber, die ihn mit einem dankbaren Blick bedachte.
    »Wie nett«, sagte Anna.
    »Wie romantisch«, murmelte Phyllis.
    Der große Mann – Jerry? – blickte ihn finster an. »Du hast einen komischen Akzent«, sagte er. »Woher kommst du?«
    »Aus Syrien.«
    »Hm«, überlegte Jerry. »Das ist neben China, stimmt’s?«
    »Jerry, du Dummkopf, Syrien ist ganz woanders als China«, wies ihn Estelle auf Jiddisch zurecht, und Stanley kicherte. Jerry wurde rot und wandte sich seinem Bier zu.
    Sie mochten Chavas Freunde sein, aber ihre Neugier begann ihm auf die Nerven zu gehen. »Chava, du hast versprochen, mir das

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