Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
Vom Netzwerk:
Tanzen beizubringen«, sagte er. Er legte ihr die Hand auf den Arm, und die Gruppe starrte ihnen nach, als sie sich entfernten.
    Sie führte ihn in eine Ecke der Tanzfläche und wandte sich ihm zu. »Du legst deine Hände hier hin und da«, wies sie ihn so förmlich an, dass er schmunzeln musste. »Und ich halte dich hier und hier. Und dann machst du einen Schritt und einen Hüpfer. Nur spiegelbildlich.«
    »Warte einen Moment«, sagte er. »Ich will erst den anderen zuschauen.« Sie stellten sich an den Rand der Tanzfläche und sahen zu. Wie die Paare es schafften, nicht ständig miteinander zusammenzustoßen, war ihm ein Rätsel. Er wusste nicht genau, worin der Sinn bestand, so viel Energie darauf zu verwenden, sich im Kreis zu drehen, um in etwa wieder an der Stelle zu landen, an der man angefangen hatte, doch diesen Gedanken behielt er für sich.
    »Bist du so weit?«, fragte sie.
    »Ich denke ja.«
    Er fasste sie an den bezeichneten Stellen und machte die ersten vorsichtigen Schritte. Die Schrittfolge war nicht schwierig, und er lernte sie rasch. Anfänglich stießen sie ein paar Mal gegen benachbarte Paare, aber dann entwickelte er ein Gefühl dafür, sie zu führen, und dirigierte sie mit der Hand an ihrer Taille in die Richtung, in die sie tanzen sollte. Seine Größe war von Vorteil; er sah die Löcher in der Menschenmenge und konnte verhindern, dass sie eingeschlossen wurden.
    Der Kopf des Golems reichte ihm bis zum Kinn. »Das machst du sehr gut«, sagte sie.
    Er lachte. »Wie willst du das beurteilen? Du hast es doch selbst gerade erst gelernt.«
    »Ja, aber du trittst mir nicht auf die Füße oder schubst mich gegen andere. Du bist ein geborener Tänzer«, sagte sie genüsslich.
    »Ich glaube, ich war eine Überraschung für deine Freunde.«
    »Das war meine Schuld«, erwiderte sie. »Ich hätte es mir denken können.«
    »Ich bin froh, dass du es nicht getan hat. Dann hättest du mich vielleicht nicht hierhergebracht, und ich hätte etwas versäumt.«
    »Dann macht es dir also Spaß?«
    »Sehr«, sagte er und begriff, dass es stimmte.
    Die Tänzer kreisten um sie; ihre begeisterte Ausdauer schien ebenso unerschöpflich wie die der Kapelle. »Anna sitzt nicht mehr an unserem Tisch«, sagte Chava und reckte den Hals, um über seine Schulter zu schauen. »Vielleicht ist Irving gekommen.«
    »Ah, ja, der geheimnisvolle Irving.«
    Sie lächelte. »Entschuldige, ich habe es dir noch nicht erklärt.« Und sie erzählte ihm die Geschichte von Annas Schwangerschaft, der Verlobung, dem geplanten Umzug nach Boston. »Ich bezweifle, dass ich sie je wiedersehen werde«, sagte sie. »Ich kenne so wenige Leute, und alle scheinen irgendwann wegzugehen. Vermutlich ist das der Lauf der Dinge.«
    Sie klang so wehmütig, dass er sagte: »Also, ich glaube, ich bleibe hier.«
    Er hatte sie damit zum Lachen bringen wollen, doch sie schwieg eine Weile. »Und was, wenn du doch weggehst? Was, wenn du eines Tages einen Weg findest, dich davon zu befreien?« Ihre kühlen Finger berührten die eiserne Schelle unter seiner Manschette. »Versprich mir etwas«, sagte sie eindringlich. »Wenn das geschieht, dann möchte ich, dass du noch ein letztes Mal zu mir kommst. Ich will mich nicht fragen müssen, was passiert ist. Bitte, versprich es mir.«
    Konsterniert sagte er: »Ich würde nie weggehen, ohne mich zu verabschieden, Chava. Das verspreche ich.«
    »Gut«, sagte sie. »Danke.«
    Sie tanzten weiter, obwohl die fröhliche Musik nicht mehr zu der ernsten Stimmung passte, die von ihnen Besitz ergriffen hatte. Er versuchte sich vorzustellen, wie er durch ein Wunder befreit war, sich über die schmutzigen Straßen und engen Wohnungen erhob, mit dem Wind zu ihrem Fenster flog. Wie er sich von ihr verabschiedete – und an dieser Stelle zog sich etwas in ihm zusammen. Er machte einen falschen Schritt, beeilte sich, ihn zu korrigieren.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Alles in Ordnung«, sagte er und fasste sie fester um die Taille. »Ich habe es mir nur vorgestellt. Wie es wäre, frei zu sein.« Er hielt inne, weil er nicht wusste, was er als nächstes sagen sollte, aber irgendetwas musste er sagen: »Ich wünschte, ich könnte dir zeigen –«
    Die Kapelle beendete das Lied, und der Applaus der Tänzer riss ihn aus seinen Gedanken. Sie schien besorgt und wartete darauf, dass er fortfuhr, doch die Leute auf der Tanzfläche riefen jetzt dem Kapellmeister laut etwas zu: Ein Spiel! Ein Spiel! Der Dschinn sah den Golem fragend an;

Weitere Kostenlose Bücher