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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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verwobenen Gemeinschaft von Little Syria war Arbeely so etwas wie ein Außenseiter, ein Einsiedler sogar, der in seiner Schmiede am glücklichsten war. Müßiges Geplauder war nicht seine Stärke, und bei Hochzeitsfeiern saß er oft allein am Tisch und studierte die Stempel auf dem Besteck. Seine Nachbarn grüßten ihn herzlich auf der Straße, blieben jedoch kaum stehen, um mit ihm zu reden. Er hatte viele Bekannte, aber wenige richtige Freunde.
    Das war schon in Zahleh so gewesen. In einer von Frauen dominierten Familie war er ein schweigsamer, verträumter Junge gewesen. Das Schmieden hatte er dank eines glücklichen Zufalls entdeckt. Er hatte eine Besorgung zu erledigen und blieb vor der örtlichen Schmiede stehen und sah fasziniert zu, wie ein schwitzender Mann so lange auf einer Blechplatte herumhämmerte, bis ein Eimer daraus geworden war. Die Verwandlung fesselte ihn: von nutzlos zu nützlich, von nichts zu etwas. Wieder und wieder kam er, um zuzusehen, bis der Schmied, der genug davon hatte, ständig beobachtet zu werden, anbot, ihn als Lehrling aufzunehmen. Und so wurde das Schmieden zu Arbeelys nahezu ausschließlichem Lebensinhalt; und obwohl er irgendwie annahm, dass er eines Tages eine Frau finden und eine Familie gründen würde, war er auch so zufrieden, wie die Dinge waren.
    Doch als er jetzt zu seinem schlafenden Gast blickte, ahnte er, dass etwas sich grundlegend ändern sollte. Genauso hatte er empfunden, als er sieben Jahre alt war und durch das offene Fenster das laute Wehklagen seiner Mutter gehört hatte, weil ihr Mann auf dem Nachhauseweg von Beirut von Banditen getötet worden war. Jetzt wie damals spürte er, dass sich die Fäden, die sein Leben zusammenhielten, lösten und neu zusammenfanden angesichts dieses überwältigenden Dings, das bei ihm gestrandet war.
    »Was tun Sie da?«
    Arbeely zuckte zusammen. Der Dschinn hatte sich nicht bewegt, aber seine Augen waren offen. Arbeely fragte sich, wie lange er ihm schon zusah. »Ich flicke einen Wasserkessel«, sagte er. »Sein Besitzer hat ihn zu lange auf dem Ofen stehen lassen.«
    Der Dschinn machte eine Kopfbewegung in Richtung des Kessels. »Was ist das für ein Blech?«
    »Es sind zwei Metalle«, sagte Arbeely. »Stahl in Zinn getaucht.« Er fand ein Stück auf dem Tisch, hielt es dem Dschinn hin und deutete auf die Schichten. »Zinn, Stahl, Zinn. Sehen Sie? Das Zinn allein ist zu weich, und Stahl rostet. Aber gemeinsam sind sie stark und vielseitig einsetzbar.«
    »Ich verstehe. Genial.« Er setzte sich auf und langte nach dem Wasserkessel. »Darf ich?« Arbeely gab ihm den Kessel, der Dschinn studierte ihn und drehte ihn in den Händen, die aufgehört hatten zu zittern. »Ich nehme an, dass die Schwierigkeit darin besteht, die Kanten des Flickens zu glätten, ohne den Stahl bloßzulegen.«
    »Genau so ist es«, sagte Arbeely überrascht.
    Der Dschinn legte die Hand auf den Flicken. Nach ein paar Augenblicken begann er, vorsichtig an den Kanten zu reiben. Arbeely sah verblüfft zu, wie die Umrisse des eingesetzten Stücks verschwanden.
    Der Dschinn gab Arbeely den Wasserkessel zurück. Es war, als hätte er nie ein Loch gehabt.
    »Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen«, sagte der Dschinn.
     
    Im Frühling kann es in der Wüste ganz plötzlich regnen. Am Morgen, nachdem der Dschinn von der Verfolgung der Karawane nach Ghuta zurückgekehrt war, zog sich der Himmel zu, und die ersten Regentropfen begannen zu fallen und steigerten sich alsbald zu einem veritablen Schauer. Die ausgetrockneten Flussbetten und Rinnen füllten sich mit Wasser. Der Dschinn sah zu, wie der Regen an den Mauern und Krenelierungen seines Palastes herunterrann und ärgerte sich. Er hatte vorgehabt, bei Tagesanbruch zur Siedlung der Dschinn aufzubrechen, doch jetzt musste er warten.
    Und so streifte er durch die gläsernen Säle, betrachtete die Metallarbeiten und veränderte hier und da ein Detail, um sich die Zeit zu vertreiben. … Seine Gedanken schweiften zu den Männern der Karawane, zu ihren Gesprächen und Scherzen. Er erinnerte sich an die Lieder des alten Mannes und fragte sich, ob die besungenen Beduinenmänner wirklich so mutig und die Frauen wirklich so schön waren. Oder waren es nur erfundene Legenden, die sich im Lauf der Zeit änderten und übertrieben?
    Drei Tage lang regnete es immer wieder, es waren drei Tage ärgerlicher Gefangenschaft. Hätte der Dschinn nach draußen und bis ans Ende der Welt fliegen können, dann hätte sich seine

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