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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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und seinen Reiter abwarf. Der junge Mann brach sich das Kreuz und das Genick. Aziz schwebte einen Tag lang zwischen Leben und Tod, bevor sein Vater beschloss, sich nach Westen aufzumachen. Es war unmöglich, eine Bahre den felsigen Hang hinaufzuziehen, deswegen brach er allein auf und kehrte mit einem Sack voller Umschläge zurück. Als er sie Aziz anlegte, heilten seine Knochen, und sein Fieber sank. Nach einer Woche stand er auf und konnte wieder gehen. Doch von da an scheute jedes Pferd, dem er sich näherte, vor ihm zurück. Die wenigen, die es ihm anzufassen gelang, wieherten entsetzt und hatten Schaum vor dem Maul. Aziz al-Hadid, der Meister der Pferde, ritt nie wieder. Er wurde ein Schatten seiner selbst, aber zumindest lebte er.
    Langsam zogen sie gen Westen. Alle paar Stunden hielt Abu Yusuf einen Wassersack an Fadwas Lippen oder flößte ihr ein bisschen Joghurt ein. Manchmal spuckte sie alles wieder aus; manchmal schluckte sie, als wäre sie am Verhungern. Bald ging das flache Gelände in eine verwinkelte, zerklüftete Hügellandschaft über. Der Weg war anstrengend, und das Schaf geriet ins Straucheln. Als klar war, dass es nicht mehr mithalten konnte, stieg Abu Yusuf ab, kniete sich auf das sich wehrende Schaf und schlug ihm mit einem großen Stein den Schädel ein. Es müsste bald ausgeblutet werden, oder sein Blut würde zu Gift; aber wenn er es hier tat, würde er jeden Schakal in der Gegend anlocken. Er warf den Kadaver über sein Pferd, und sie ritten weiter.
    Es war fast Abend, als Ibn Maliks Höhle in Sichtweite kam. Abu Yusuf blinzelte in die untergehende Sonne und sah eine kleine magere Gestalt im Schneidersitz auf einem flachen Felsen vor der Höhle sitzen. Er lebte. Und er hatte gewusst, dass sie kamen. Natürlich hatte er es gewusst.
    Wahab Ibn Malik war bereits in den Dreißigern gewesen, als sich der Cousin des jungen Abu Yusuf so schwer verletzt hatte; dennoch war Abu Yusuf geschockt vom Zustand des Mannes, der auf sie wartete. Er schien kaum mehr zu sein als ein ledriges, gelbäugiges Skelett. Als sie bei ihm angekommen waren, stand er auf, entfaltete sich wie eine Spinne, und Abu Yusuf sah, dass er nackt war bis auf einen zerrissenen Lendenschurz. Er blickte sich nach Fadwa um, aber sie konnte natürlich nichts sehen, da ihre Augen verbunden waren.
    Er stieg ab, nahm das tote Schaf von seinem Pferd, trug es zu Ibn Malik und legte es ihm vor die Füße. Der Mann grinste Abu Yusuf an, entblößte dabei dunkle, abgebrochene Zähne, und schaute zu Fadwa, die noch immer auf ihrem Pony angebunden war.
    »Du willst einen Exorzismus«, sagte Ibn Malik. Seine Stimme war erstaunlich tief und volltönend, als würde sie nicht aus seinem Körper, sondern von woandersher kommen.
    »Ja«, sagte Abu Yusuf voll Unbehagen. »Wenn du glaubst, dass es Hoffnung gibt.«
    Ibn Malik lachte. »
Hoffnung
gibt es nie, Jalal ibn Karim«, sagte er. »Es gibt nur das, was getan werden kann, und das, was nicht getan werden kann.« Er schaute zu Fadwa. »Hol sie runter und folge mir. Und dann werden wir sehen, was getan werden kann.« Damit beugte er sich hinunter, packte zwei Beine des toten Schafs und zog es durch den Eingang in die Höhle.
     
    Was Abu Yusuf für eine kleine Felsgrotte gehalten hatte, war nur die erste einer Reihe miteinander verbundener, von Fackeln erhellter Höhlen, die sich weit in den Berg hineinzogen. Während er Ibn Malik folgte, murmelte und wand sich Fadwa auf seinen Armen in dem Versuch, vor etwas zu fliehen, was nur sie sehen konnte. Die flackernden Fackeln rochen nach tierischem Fett und spuckten einen schmierigen schwarzen Rauch aus, der die Verbindungsgänge erfüllte.
    In einer der kleineren Höhlen bedeutete ihm Ibn Malik, Fadwa auf eine primitive Pritsche zu legen. Abu Yusuf tat es, versuchte den Schmutz zu ignorieren und sah hilflos zu, wie Ibn Malik begann, sie zu untersuchen. Fadwa wehrte sich gegen den Mann, bis er ihr etwas einflößte, woraufhin sie sich entspannte und reglos dalag. Dann zog er sie aus. Sein Verhalten war vollkommen leidenschaftslos, dennoch hätte Abu Yusuf ihn am liebsten von ihr weggezerrt und ihm wie dem Schaf den Schädel eingeschlagen.
    »Nur ihr Geist wurde verletzt, nicht ihr Körper«, sagte Ibn Malik schließlich. »Du wirst erfreut sein zu hören, dass sie noch Jungfrau ist.«
    Abu Yusuf sah rot. »Mach weiter«, stieß er hervor.
    Ibn Malik entfernte die Augenbinde, zog zuerst ein Augenlid zurück, dann das andere. Abu Yusuf zuckte zusammen,

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