Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
um mit einem Lieferanten einen besseren Preis auszuhandeln, und es fühlte sich gut an, allein zu sein, ohne den mürrisch schweigenden Mann. Er beugte sich wieder über seine Arbeit und empfand etwas, was leise Zufriedenheit hätte sein können.
Die Tür flog auf.
Es war Matthew, leichenblass und panisch. Er rannte zum Dschinn und griff nach seinem Arm, sein ganzer Körper eine flehentliche Bitte; und der Dschinn ließ sich auf die Beine und zur Tür hinaus ziehen.
Der Junge rannte mit ihm die Straße hinunter. Aus dem Augenwinkel sah der Dschinn Maryam Faddoul, die neben einem Tisch auf dem Gehweg erschrocken von einer Unterhaltung aufblickte und ihnen nachschaute, während sie Wagen und Fußgänger überholten. Sie liefen die Treppe vor Matthews Haus hinauf, durch die Eingangshalle – die Blechdecke funkelte über ihnen – und hinauf in den vierten Stock. Eine Wohnungstür stand halb offen, und Matthew rannte hinein. Der Raum dahinter war düster und eng. Der Dschinn wappnete sich und folgte Matthew in ein winziges Wohnzimmer.
Eine Frau lag zusammengekrümmt auf dem Boden, ihr Gesicht auf den nackten Bodenbrettern. Matthew lief zu ihr, schüttelte ihren Arm – sie reagierte nicht – und blickte wortlos flehend zum Dschinn. Vorsichtig hob der Dschinn die Frau hoch und drehte sie um. Sie wog kaum mehr als ein Kind. Sogar er sah, dass sie schwer krank war. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Haut fahl, abgesehen von einem dunkelvioletten Ausschlag auf den Wangen und der Nase. War das normal? Darunter erkannte er die fein ziselierten Züge Matthews.
»Ist das deine Mutter?« Ein ungeduldiges Nicken:
Ja, natürlich! Bitte hilf ihr!
Was sollte er tun? Warum war Matthew ausgerechnet zu
ihm
gekommen? Völlig ratlos legte er die Frau auf die Couch und hielt das Ohr an ihre Brust. Er hörte einen Herzschlag, aber nur ganz schwach. Schweiß stand ihr auf der Stirn; ihre Haut war nahezu so heiß wie seine. Er spürte, wie sie einmal mühsam atmete und dann noch einmal. Sein eigener Körper spannte sich an, als versuchte er ihr zu helfen – aber nein, das war zwecklos, was sollte er bloß
tun
?
Schritte auf der Treppe, und herein lief Maryam. Sofort erfasste sie die Lage. Bis zu diesem Augenblick hatte er für Maryam nur argwöhnische Abneigung empfunden, doch jetzt war er mehr als erleichtert. »Ich glaube, sie stirbt«, sagte er zu ihr, und es klang wie ein Flehen.
Maryam zögerte nur eine Sekunde. »Bleiben Sie bei Matthew«, sagte sie. »Ich hole einen Arzt.« Und schon war sie wieder weg.
Der Hals der Frau lag etwas verdreht da, und er schob ein Kissen unter ihren Kopf in der Hoffnung, dass es ihr half. Matthew lief aus dem Zimmer, und der Dschinn fragte sich, ob der Junge zu große Angst hatte, um bei ihr zu bleiben; doch dann kam er zurück mit einem kleinen Papiertütchen und einem Glas Wasser. Der Dschinn schaute ihm zu, während Matthew einen Löffel voll weißen Pulvers aus dem Tütchen abmaß und es in das Wasser gab. War das … Medizin? Der Junge rührte eine Weile und hielt das Glas dann gegen das matte Licht der Lampe und sah es kritisch an. Anscheinend hatte er diesen Vorgang schon zahllose Male wiederholt. Matthew versuchte, den Kopf seiner Mutter anzuheben, und der Dschinn hob sie rasch in eine sitzende Position. Er nahm Matthew das Glas ab und hielt es ihr an die Lippen. Sie nippte schwach daran, dann begann sie zu husten und zu spucken. Er wischte das Wasser ab und blickte zu Matthew; der Junge bedeutete ihm verzweifelt
mehr, mehr.
Er versuchte, ihr mehr Flüssigkeit einzuflößen, aber sie war wieder bewusstlos geworden.
Weitere Schritte auf der Treppe – und dann stand ein silberhaariger Mann mit einer Ledertasche im Zimmer. »Bitte lassen Sie mich zu ihr«, sagte er, und der Dschinn zog sich zur Tür zurück. Wortlos untersuchte der Mann – der Dschinn vermutete, dass er der Arzt war – den Ausschlag in ihrem Gesicht und horchte dann auf ihre Atmung. Er griff nach ihrem Handgelenk, holte eine Taschenuhr heraus und maß ihren Puls. Nach einer Weile steckte er die Uhr wieder weg. »Befindet sich diese Frau in Ihrer Obhut?«, fragte er den Dschinn.
»Nein«, antwortete der Dschinn sofort. »Ich bin – ich kenne sie nicht.«
Augenblicklich wandte sich der Arzt an Matthew. »Bist du ihr Sohn?« Nicken. »Was hast du ihr gerade gegeben?« Matthew reichte ihm das Tütchen; der Arzt überprüfte es, steckte einen Finger in das Pulver und leckte daran. Er runzelte die Stirn.
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