Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
aus Glas …
Dschinn, hilf uns! Wir kämpfen gegen eine Bande Ifrits und sind verletzt – wir brauchen eine Zuflucht!
Er schwang sich hinauf auf den höchsten Turm und schaute hinunter ins Tal. Auf dem Wind kamen von Westen drei Dschinn geflogen. Aus dieser Entfernung konnte er sie nicht erkennen, aber sie waren unverwechselbar Artgenossen. Ihre Verfolger waren nicht zu sehen, aber das war keine Überraschung; viele Ifrits bewegten sich unter dem Wüstensand, überholten ihre Feinde, um dann plötzlich vor ihnen aufzutauchen. Jetzt sah er, dass ein Dschinn einen anderen trug, der in der Tat nicht mehr ganz heil zu sein schien.
Ihr seid willkommen
, rief er ihnen zu.
Kommt schnell rein, hier seid ihr sicher.
Ihm war zwar peinlich, dass sie ihn in diesem geschwächten Zustand sehen würden; aber andererseits waren sie selbst auch nicht besser dran. Vielleicht könnten sie alle ihre Geheimnisse bewahren.
Den Eingang zum Palast versperrte eine dicke Glastür, die in silbernen Angeln hing. Um sie zu öffnen oder zu schließen, musste der Dschinn Menschengestalt annehmen; er war so dünkelhaft gewesen, so zu tun, als sei er ein menschlicher Herrscher, der ins Zentrum seiner Macht zurückkehrte. Als er den Balken zurückschob, der das Tor verschloss, und es aufriss, dachte er, dass es vielleicht an der Zeit war, die Funktionsweise der Tür zu modifizieren. Was er einst für eine amüsante Grille gehalten hatte, war ihm in Anwesenheit von seinesgleichen etwas peinlich.
Ein heißer Wind strich über ihn; und die drei Dschinn flogen an ihm vorbei in den Palast. Unter ihnen war, wie er jetzt sah, eine Dschinniya von beträchtlicher Schönheit, gestützt von einem ihrer Begleiter. Er lächelte: Der Abend war gerade etwas vielversprechender geworden. Er schloss das Tor und schob den Balken vor.
Da legte ihm eine klauenartige menschliche Hand eine eiserne Schelle ums Handgelenk.
Erschrocken versuchte er, den Arm zurückzuziehen – doch er war zu gefrorenem Feuer geworden. Der Schmerz war unerträglich. Verzweifelt versuchte er, die Gestalt zu wechseln, das eiskalte Eisen abzustreifen, aber vergeblich. Er spürte, dass die Schelle ihn in dieser Form festhielt und eine Verwandlung verhinderte.
Der Schmerz breitete sich bis zur Schulter und dann in seinem ganzen Körper aus. Er fiel auf die Knie und blickte mit seinen schwachen menschlichen Augen zu dem Dschinn auf, der ihm das angetan hatte. Doch alle drei Dschinn waren verschwunden. Vor ihm stand ein Beduine, der ein junges Mädchen in den Armen trug. Es war Fadwa, gefesselt und mit verbundenen Augen. Neben ihnen stand etwas, was er zuerst für einen lebenden Leichnam hielt; doch dann erkannte er einen grotesken alten Mann mit einem schmutzigen, zerfetzten Umhang.
Der alte Mann grinste böse und entblößte dabei dunkle, abgebrochene Zähne. »Es ist vollbracht!«, sagte er. »Gefangen und noch dazu in menschlicher Gestalt! Der erste seit den Tagen von Suleiman!«
»Dann ist er jetzt an dich gebunden?«, fragte der Beduine.
»Nein, noch nicht. Dazu brauche ich deine Hilfe.«
Der Beduine zögerte kurz und legte dann seine in einen Umhang gewickelte Last auf den Boden. Der Dschinn, gefangen in eiskaltem Schmerz, konnte weder sprechen noch sich bewegen. Er sah, wie Fadwa zuckte und vor sich hin murmelte. Der Beduine bemerkte seinen Blick. »Ja, schau sie dir nur an!«, schrie er. »Schau nur, was du meiner Tochter angetan hast! Und jetzt wirst du dafür bezahlen, du Kreatur. Wie schrecklich deine Leiden auch sein mögen, du hast sie selbst verschuldet, und sie sind
nichts
verglichen mit ihren!«
»Ja, gut gesprochen«, sagte der alte Mann. »Aber jetzt komm und hilf mir, bevor der Schmerz ihn um den Verstand bringt. Ich will, dass er genau weiß, was passiert.«
Vorsichtig näherte sich ihm der Beduine. »Er muss auf den Knien bleiben, halt ihn fest«, sagte der alte Mann. Fadwas Vater packte den Dschinn grob an den Schultern. Der Dschinn wollte schreien, aber er brachte keinen Laut heraus. »Halt still«, zischte der Beduine und packte ihn im Nacken.
Der alte Mann schloss die Augen; er murmelte etwas vor sich hin, als würde er proben und sich auf etwas vorbereiten. Dann ging er auf die Knie und drückte dem Dschinn eine raue, schmutzige Handfläche auf die Stirn.
Die Silben, die der alte Mann krächzte, ergaben keinen Sinn – doch selbst durch den von der Eisenschelle verursachten Schmerz spürte er das Netz glühender Linien, das sich von der Hand des Mannes
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