Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Dinge dort sehen, viel schlimmere als mein Wunsch, dass Sie woanders stehen sollen. Sie müssen darauf vorbereitet sein und lernen, sie nicht zu beachten.«
Sie hörte zu und nickte, aber es fiel ihr schwerer, als ihm klar war. Im selben Zimmer mit ihm zu sein und zu wissen, dass er sie fort wünschte, war für sie Folter. Ihr Instinkt, sich
nützlich
zu machen, riet ihr, ihm aus dem Weg zu gehen. Diesen Wunsch zu ignorieren war in etwa so, wie sich einer Straßenbahn entgegenzustellen. Sie rutschte nervös hin und her oder machte versehentlich Dinge kaputt – sie riss den Griff einer Schublade ab, als sie danach griff, trennte den Saum ihres Rockes auf, als sie am Stoff zog. Sie entschuldigte sich vielmals, und er entgegnete, das mache nichts; aber sein Unmut war schwer zu ignorieren, und so wurde alles nur noch schlimmer.
»Es wäre besser, wenn ich etwas zu
tun
hätte«, sagte sie schließlich.
Sofort sah der Rabbi seinen Fehler ein. Ohne nachzudenken, hatte er den Golem zum schlimmsten aller möglichen Leben verurteilt: einem Leben in Untätigkeit. Und deswegen gab er nach und gestattete ihr, die Wohnung zu putzen, was er bislang beharrlich selbst getan hatte.
Die Veränderung sowohl des Golems als auch der Wohnung war unübersehbar. Der Golem konzentrierte sich auf die Arbeit und lernte, die Ablenkungen zu ignorieren. Jeden Morgen spülte sie das Geschirr vom Frühstück und vom Abendessen, dann nahm sie den Herd in Angriff, entfernte eine weitere der vielen Schmutzschichten, die sich in den Jahren, seitdem die Frau des Rabbis gestorben war, angesammelt hatten. Anschließend machte sie das Bett des Rabbis, steckte das Laken fest zwischen die Matratze und den durchhängenden Rahmen. Die gesamte Schmutzwäsche im Korb – außer seiner Unterwäsche, die er sich hartnäckig weigerte, sie waschen zu lassen – trug sie zum Spülstein, wusch sie und hängte sie zum Trocknen auf. Die Sachen vom Vortag nahm sie ab, bügelte sie, legte sie zusammen und räumte sie weg.
»Ich habe einfach das Gefühl, Sie auszunutzen«, sagte der Rabbi bekümmert und sah zu, wie sie die Teller in den Schrank stellte. »Und meine Schüler werden glauben, dass ich ein Hausmädchen eingestellt habe.«
»Aber ich mache die Arbeit gern. Ich fühle mich besser. Und außerdem kann ich mich so für Ihre Großzügigkeit bedanken.«
»Ich habe keinen Dank erwartet, als ich Sie aufgenommen habe.«
»Aber ich will mich erkenntlich zeigen«, sagte sie und stellte weiteres Geschirr in den Schrank. Schließlich beschloss der Rabbi, die Situation zu akzeptieren, sie war ohnehin unumgänglich, und die frisch gebügelten Hosen waren eine Annehmlichkeit.
Wenn sie sich unterhielten, dann nur sehr leise. Im Haus war es laut, auch nachts, aber die Wände zwischen den Wohnungen waren dünn, und die Stimme einer jungen Frau hätte die Nachbarn des Rabbis allzu sehr fasziniert. Glücklicherweise musste sie das Etagenklo nicht aufsuchen. Einmal am Tag wusch sie sich an der Spüle, während der Rabbi in seinem Schlafzimmer oder am Tisch im Wohnzimmer saß und studierte oder betete.
Am härtesten war es, wenn ein Schüler des Rabbis zum Unterricht kam. Ein paar Minuten vor seiner Ankunft ging der Golem in das Schlafzimmer des Rabbis und kroch unter sein Bett. Bald darauf klopfte es an der Tür, die Stühle im Wohnzimmer scharrten über die Dielenbretter, und dann erklang die Stimme des Rabbis:
Hast du deine Lektion gelernt?
Der Golem passte kaum unter das Bett. Es war schmal und hing so durch, dass die Sprungfedern beinahe ihre Nase berührten. Unter so beengten Umständen reglos und still dazuliegen war nicht einfach. Ihre Finger und Beine fingen irgendwann an zu zucken, so sehr sie auch versuchte, sich zu entspannen. Und während sie so dalag, drang eine kleine Armee von Wünschen und Bedürfnissen in ihren Kopf ein: von dem Jungen und dem Rabbi, die beide alles dafür gegeben hätten, wenn die Zeit nur schneller vergangen wäre; von der Frau in der Wohnung unter ihr, die unter ständigen Hüftschmerzen litt; von den drei kleinen Kindern nebenan, die sich ihre wenigen Spielsachen teilten und immer das wollten, was sie gerade nicht hatten; und aus weiterer Entfernung vom Rest des Mietshauses, einer kleinen Stadt voller Anliegen und Lüste und Kümmernisse. Und mitten drin lag der Golem und hörte alles.
Der Rabbi hatte ihr geraten, sich auf ihre anderen Sinne zu konzentrieren, um den Lärm zu übertönen; und so drückte der Golem das Ohr auf den
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