Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
und reinigte sie von Schmutz und Staub. Die Hühner seiner Tochter hatten am Morgen Eier gelegt. Zucker, Salz, Eis und Milch von der Ziege des Nachbarn hatten sie noch. Unter Mühen stellte er die Zutaten bereit, langsam, um nichts zu verschütten. Das Eis zerkleinerte er mit einem Hammer, vermischte dann Eier, Zucker und Ziegenmilch, fügte Eis und Steinsalz hinzu und gab die Mischung in die Eismaschine. Wann hatte er das eigentlich gelernt? Er hatte gesehen, wie seine Frau Eis als Leckerei für ihre Tochter und deren Freundinnen gemacht hatte, aber er hatte nie wirklich aufgepasst. Jetzt schien ihm, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Er legte den Deckel auf die Maschine und drehte die Kurbel. Die Arbeit fühlte sich gut an. Die Mischung wurde langsam hart. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und in seinen Achseln. Er hörte auf zu kurbeln, als er das Gefühl hatte, dass das Eis fertig war.
Er kehrte mit einer kleinen Schale Eis ins Schlafzimmer zurück und sah, dass seine Frau jetzt Schüttelfrost hatte. Er stellte die Schale ab und hielt ihre zitternde Hand. Sie erlangte das Bewusstsein nicht wieder und starb, als der Morgen dämmerte. Saleh hatte nicht erkannt, dass der Todeskampf eingesetzt hatte und seine Tochter nicht geweckt, sodass sie sich nicht hatte verabschieden können.
Am nächsten Nachmittag saß Saleh allein in der Küche, während die Schwestern seiner Frau ihre Leiche vorbereiteten. Jemand kam herein und kniete sich neben ihn. Es war seine Tochter. Sie schlang die Arme um ihn. Er schloss die Augen, um sich daran zu erinnern, wie er sie früher gesehen hatte, ihr dunkles Haar und ihre leuchtenden Augen, die niedlichen Sommersprossen auf den Wangen. Da bemerkte sie die Eismaschine.
»Vater«, sagte sie, »wer hat das Eis gemacht?«
»Ich«, antwortete er. »Für deine Mutter.«
Sie kommentierte diese Merkwürdigkeit nicht, steckte nur zwei Finger in die Maschine und dann in den Mund. Ihre rot geränderten Augen blinzelten überrascht.
»Es ist ausgezeichnet«, sagte sie.
Danach stellte sich die Frage, welchen Weg er einschlagen sollte, nicht mehr. Er musste sich und seine Tochter ernähren. Das Haus wurde verkauft, und die Familie des Bruders seiner Frau nahm sie auf; doch sie waren nicht reich, und Saleh wollte ihre Barmherzigkeit nicht überfordern. Und so wurde aus Dr. Mahmoud Eiscreme-Saleh, der sich zum Schutz vor der Sonne ein weißes Tuch um den Kopf band. Bald gewöhnten sich die Leute in Homs daran, wie er seine Eismaschine auf einem Wägelchen, dekoriert mit einer Glöckchenkette, hinter sich her durch die Straßen zog und
Eiscreme! Eiscreme!
rief. Türen wurden geöffnet, und Kinder mit Münzen in der Hand liefen heraus. Saleh hielt den Kopf abgewandt, damit er nicht die abgrundtiefen Löcher in ihren Augen und das Licht sehen musste, das durch ihre Körper drang.
Bald war Saleh der erfolgreichste Eisverkäufer des Viertels. Das war zum einen seinem Eis zu verdanken. Einhellig herrschte die Ansicht, dass es aufgrund seiner glatten Konsistenz besser war als jedes andere Eis. Andere Eisverkäufer benutzten zu viel Eisstückchen, die Creme gefror zu schnell und wurde körnig und hart. Oder sie kurbelten nicht lange genug, und die Kinder bekamen einen enttäuschenden, halb flüssigen Brei. Salehs Eis aber war perfekt. Zum anderen trug auch seine tragische Geschichte zu seinem Erfolg bei –
da geht Eiscreme-Saleh, wusstest du, dass er früher ein berühmter Arzt war
? –, und die Kinder warteten jeden Tag gespannt, ob Eiscreme-Saleh auf die Straße stürzen und Schaum vor dem Mund haben würde. Sie waren immer enttäuscht, wenn es nicht passierte, aber dann trösteten sie sich mit dem Eis. Wenn er tatsächlich einen Anfall hatte, versuchte er, die Kinder zu warnen: »Habt keine Angst«, sagte er und hörte die Worte selbst kaum mehr. Dann wurde es dunkel, und er befand sich in einer anderen Welt, in einer Welt der Halluzinationen, geflüsterter Worte und seltsamer Empfindungen. Wenn er erwachte, das Gesicht im Staub, die Kinder verschwunden, konnte er sich nie an diese Visionen erinnern.
Und so verbrachte er Jahre auf der Straße, die Füße wund, die Stimme heiser, das Haar ergraut. Das wenige Geld, das er sparen konnte, legte er für die Zukunft seiner Tochter beiseite, da sie nicht mehr mit einem großzügigen Brautpreis rechnen konnten. Doch zu seiner großen Überraschung sprach ihn ein Ladenbesitzer aus dem Viertel an und machte ihm ein Angebot, das er
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