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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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zerstören. Nicht alle Golems sind so brutal oder dumm wie dieser, aber alle haben im Prinzip das gleiche Wesen. Sie sind Marionetten des Menschen, und sie sind gefährlich. Wenn sie ihre Feinde erledigt haben, wenden sie sich gegen ihren Meister. Einen Golem zu erschaffen, darf nur ein letzter Ausweg sein. Vergiss das nicht.«
    Lange Zeit danach hatte er über seinen plumpen Golem nachgedacht, heimgesucht von dem Bild der kleinen, rasend gewalttätigen Gestalt. War es falsch gewesen, ihn zum Leben zu erwecken? Wie viel war in den Augen Gottes das Leben einer Spinne wert? Sein ganzes Leben war er auf Spinnen getreten; warum fühlte sich der Tod dieser Spinne so anders an? In diesem Jahr und noch Jahre danach hatte er an Jom Kippur für den Golem und die Spinne Abbitte geleistet. Allmählich verdrängten die alltäglichen Kränkungen, die er Verwandten und Kollegen zugefügt hatte, den Vorfall aus seinen Gebeten, aber er hatte ihn nie ganz vergessen. In jenem Zimmer hatte er über Leben und Tod entschieden, und später fragte er sich, warum der Allmächtige es ihm gestattet hatte. Doch der Zweck dieser Lektion wurde ihm klar, als er eines Tages durch die dichte Menschenmenge in der Orchard Street ging und eine große Frau in einer Wolljacke und einem schmutzigen Kleid erspähte, die den Geruch nach frisch umgegrabener Erde verströmte.
    So sehr er auch versucht war, er wusste, dass er sie nicht zerstören konnte. Sie war unschuldig und nicht verantwortlich für ihre Existenz. Das glaubte er, so sehr ihn auch seine Furcht vom Gegenteil zu überzeugen versuchte. Das war der wahre Grund, warum er sie Chava genannt hatte: Der Name leitete sich von
chai
ab, und das bedeutete Leben. Um sich daran zu erinnern.
    Nein, er konnte sie nicht zerstören. Aber vielleicht gab es eine andere Möglichkeit.
    Er setzte sich an den Wohnzimmertisch, öffnete den ledernen Ranzen und holte einen Stapel Bücher und Papiere heraus. Die Bücher waren alt und von der Zeit gezeichnet, die Einbände und Rücken gebrochen. Die losen Blätter waren mit Notizen beschrieben, die der Rabbi aus Büchern übertragen hatte, die zu empfindlich waren, um sie mitzunehmen. Er hatte den Morgen – wie mittlerweile jeden Morgen in den letzten Wochen – damit verbracht, von Synagoge zu Synagoge zu gehen. Unter einem Vorwand besuchte er alte Freunde, Rabbis, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er trank Tee mit ihnen, erkundigte sich nach ihren Familien, hörte sich Geschichten über ihre nachlassende Gesundheit und Skandale in ihrer Gemeinde an. Und dann bat er stets um einen kleinen Gefallen. Dürfte er ein paar Minuten in der privaten Bibliothek des Freundes verbringen? Nein, er war nicht auf der Suche nach einem speziellen Buch – es handelte sich um ein überaus heikles Thema, um eine Frage der Auslegung, die zu beantworten ihn ein früheres Gemeindemitglied gebeten hatte. Eine etwas diffizile Angelegenheit.
    Natürlich schöpften sie Verdacht. Als Rabbiner waren sie mit allen schwierigen Fragen konfrontiert gewesen, auf die eine Gemeinde verfallen konnte; es gab wenige Probleme, über die nicht in aller Vertraulichkeit gesprochen werden konnte, zumindest in hypothetischer Form. Rabbi Meyers ausweichende Erklärung legte etwas anderes nahe, etwas Verstörendes.
    Aber sie entsprachen seiner Bitte, und ließen ihren Freund in ihren Büros allein; und als sie zurückkehrten, war er nicht mehr da. Er ließ auf dem Schreibtisch oder dem Stuhl einen gefalteten Zettel zurück, auf dem stand, dass er eine Verabredung vergessen habe und sich für seinen überstürzten Aufbruch entschuldige. Außerdem habe er ein interessantes Buch gefunden, das Licht auf seine Situation werfe, und sei so dreist gewesen, es auszuleihen. Er würde es in ein paar Wochen zurückbringen. Und als die Rabbis in ihren Regalen nach dem fehlenden Buch suchten, stellten sie stets – und keineswegs zu ihrer Überraschung – fest, dass er das gefährlichste Buch mitgenommen hatte, das sie besaßen und seit langem schon hatten vernichten wollen. Oft war das Buch versteckt gewesen, aber der Rabbi hatte es trotzdem gefunden.
    Sie waren alle zutiefst beunruhigt. Was für eine Verwendung hatte Meyer bloß für dieses Wissen? Doch kein Einziger sagte ein Wort. Meyers Ausflüchte und Quasi-Diebstähle hatten etwas Verzweifeltes, und sie fühlten sich mit schlechtem Gewissen erleichtert, dass er sie nicht ins Vertrauen gezogen hatte. Wenn ihm das Buch eine Hilfe war, umso besser. Sie

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