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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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ob es irgendeine Bedeutung für sie gehabt hätte.
    Nach einer Weile zog sie sich von ihm zurück und legte sich auf den Rücken. »Es tut mir leid, aber du kannst nicht bis zum Morgen bleiben«, sagte sie.
    »Ich weiß. Ich werde gleich gehen.«
    »Ich bin verlobt«, sagte sie unvermittelt.
    »Verlobt?«
    »Und werde heiraten.«
    Er dachte darüber nach. »Magst du ihn?«
    »Vermutlich. Alle sagen, dass er eine gute Partie ist. Wir werden im Frühling heiraten.«
    Er wartete, dass er eifersüchtig würde, aber nichts dergleichen geschah.
    Sie lagen noch ein paar Minuten nebeneinander; ihre Körper berührten sich nicht, nur ihre Hände streiften sich. Ihr Atem wurde gleichmäßiger; er nahm an, dass sie eingeschlafen war. Vorsichtig stand er auf und zog sich an. Es würde erst in ein paar Stunden hell werden, aber er wollte weg. Der Gedanke, stundenlang reglos neben ihr zu liegen, war ihm unerträglich. Der Knopf an seinem Hemdsärmel verfing sich an der Fessel um sein Handgelenk, und er fluchte leise.
    Als er sich aufrichtete, sah er, dass sie ihn anschaute. »Wirst du wiederkommen?«, fragte sie.
    »Willst du, dass ich wiederkomme?«
    »Ja.«
    »Dann komme ich wieder«, sagte er und wandte sich ab, um zu gehen. Er wusste nicht, ob sie beide logen oder nur einer von ihnen.

    Es wurde Nacht in der syrischen Wüste, eine kalte Frühlingsnacht. Am Tag hatten ein Beduinenmädchen und sein Vater beide in ein Tal hinabgeblickt und einen funkelnden Palast gesehen, der nicht dort sein konnte. Und jetzt, als sie im Zelt ihrer Familie unter Decken und Fellen lag, träumte Fadwa einen ungewöhnlichen Traum.
    Er begann mit einem Gemisch aus Bildern und Gefühlen, die sowohl ominös als auch sinnlos waren. Sie sah vertraute Gesichter, ihre Mutter, ihren Vater, ihre Cousins und Cousinen. Dann schien sie über die Wüste zu fliegen und jemanden zu verfolgen. Oder wurde sie verfolgt? Und dann war sie mitten in einer riesengroßen Karawane, Hunderte von Männern zogen durch die Wüste, zu Fuß und zu Pferd, ihre Blicke düster und streng. Sie hüpfte zwischen ihnen auf und ab und rief etwas; aber sie hörten sie nicht, und ihre Stimme war nur ein leises Echo. Sie wusste, dass es die Karawane war, die ihr Vater als kleiner Junge gesehen hatte. Sie war die ganze Zeit auf ihrem endlosen Weg durch die Wüste gezogen. Aber jetzt war sie und nicht die Karawane das Phantom.
    Eine namenlose Angst überkam sie. Sie musste die Karawane aufhalten und trat direkt vor einen der Männer, wappnete sich und ballte die Fäuste. Der Aufprall warf sie so mühelos um, als bestünde sie aus Luft.
    Sie wirbelte herum und stürzte. Ihr wurde schwindlig. Schließlich schlug sie dumpf auf den Boden, zwischen den Fingern spürte sie kühlen Sand. Sie wartete, bis sich der Schwindel gelegt hatte, und öffnete die Augen.
    Ein Mann ragte vor ihr auf.
    Sie rappelte sich auf und machte ein paar Schritte zurück, wischte sich den Sand von den Händen. Er gehörte nicht zu der Karawane und trug keine Reisekleider, sondern ein makelloses weißes Gewand. Er war noch größer als ihr Vater. Sie betrachtete sein Gesicht, erkannte ihn jedoch nicht. Sein Gesicht war nackt, keine Spur von einem Bart; das machte ihn in ihren Augen trotz seiner Männlichkeit zu einer auffallend androgynen Erscheinung. Konnte er sie im Gegensatz zu den Männern der Karawane sehen? Er lächelte sie an, es war ein wissendes Lächeln, dann drehte er sich um und ging davon.
    Ihr war klar, dass sie ihm folgen sollte, und sie tat es, ohne sich zu bemühen, ihre Schritte zu dämpfen. Der Vollmond stieg über dem Tal auf, obwohl sie eigentlich wusste, dass das nicht sein konnte – in der wachen Welt nahm der Mond ab, war fast schon ein Neumond.
    Sie folgte ihm einen kleinen Hügel hinauf, wo er stehen blieb und auf sie wartete. Sie stellte sich neben ihn und bemerkte, dass sie auf dem Grat standen, von dem aus sie die Fata Morgana gesehen hatte. Und tatsächlich, unten im Tal stand der Palast, unversehrt, massiv und wunderschön, die Bögen und Türmchen glühten im Mondschein.
    »Das ist ein Traum«, sagte sie.
    »Stimmt«, gab der Mann zu. »Aber der Palast ist trotzdem da. Du hast ihn heute Morgen gesehen. Und dein Vater auch.«
    »Aber er hat behauptet, dass er nichts gesehen hat.«
    Der Mann legte den Kopf schief, als würde er nachdenken. Wieder drehte sich die Welt – und dann stand sie unten im Tal und schaute zum Grat hinauf, wo sie gerade noch gewesen war. Es war Tag. Dort oben stand

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