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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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jemals positiven Wert für den Empfänger. Zumeist ist das ankommende Kommunikat entweder unverständlich (Relativitätstheorie im Jahr 1860) oder unverwertbar (Lasertheorie im Jahr 1878), oder es ist schlechtweg schädlich (Theorie der Atomenergetik im Jahr 1939). So schweigen denn die Spieler, da sie – laut Acheropoulos – den jüngeren Zivilisationen wohlwollen.
    Diese Argumentation beruft sich also auf die Ethik. Schon allein dadurch ist sie unzuverlässig. Die Behauptung, eine Zivilisation müsse ethisch um so vollkommener werden, je weiter sie instrumental und wissenschaftlich entwickelt sei, wird auf einmal von außen in die Theorie des Spiels hineingetragen. Eine Theorie des Kosmogoniespiels kann nicht so gebaut werden; entweder das Silentium Universi ergibt sich unabdingbar aus der Struktur des Spiels, oder die Eigenexistenz des Spiels muß angezweifelt werden. Hypothesen ad hoc können seine Glaubhaftigkeit nicht retten.
    Acheropoulos war sich darüber klar: dieses Problem hat ihn empfindlicher gepeinigt als all die Verkennung, die er erfuhr. So fügt er denn zu der »sittlichen Hypothese« andere hinzu, jedoch die Anzahl von schwachen Hypothesen gibt es ja gar nicht, die eine einzige und dafür starke ersetzen könnte. An dieser Stelle muß ich über mich sprechen. Was habe ich als Fortsetzer des Acheropoulos getan? Meine Theorie ist aus der Physik hervorgegangen und wandelt sich wieder zu Physik, doch selbst gehört sie nicht der Physik an. Versteht sich, wenn aus ihr bloß diejenige Physik hervorginge, aus der ich sie entwickelt habe, dann wäre dies ein wertloser Zeitvertreib mit der Tautologie.
    Der Physiker verhielt sich bislang wie ein Mensch, der die Züge auf einem Schachbrett beobachtet, bereits weiß, wie jede Figur sich bewegt, der aber nicht annimmt, daß die Züge der Figuren irgendein Ziel verfolgen könnten. Das Kosmogoniespiel rollt anders ab als das Schachspiel, denn im Kosmogoniespiel verändern sich die Regeln, also die Gesetze der Gangart, die Figuren und das Brett. In Anbetracht dessen ist meine Theorie nicht die Rekonstruktion des ganzen Spiels, wie es von seiner Entstehung an verlaufen ist, sondern nur seines letzten Teils. Meine Theorie ist nur ein Bruchstück des Ganzen, mithin so etwas, wie eine auf die Beobachtung des Schachspiels gestützte Nachschaffung des Gambitprinzips. Wer das Gambitprinzip kennt, der weiß schon, daß man eine wertvolle Figur als Opfer anbietet, um später etwas noch Wertvolleres zu erlangen, aber er muß nicht wissen, daß das Matt diesen höchsten Gewinn bezeichnet. Aus der Physik, die uns zur Verfügung steht, läßt sich die zusammenhängende Struktur des Spiels nicht entwickeln, und nicht einmal ein Teil davon. Erst als ich der genialen Intuition des Acheropoulos folgte und annahm, die derzeitige Physik müsse »ergänzt« werden, gelang es mir, die Richtlinien der abrollenden Partie nachzuschaffen. Dieses Vorgehen war extrem ketzerisch, denn die erste Voraussetzung der Wissenschaft ist die These, daß die Welt in ihren Gesetzen etwas »Fertiges« und »Abgeschlossenes« sei. Ich dagegen nehme an, daß die derzeitige Physik eine vorübergehende Etappe auf dem Wege bestimmter Umformungen bildet.
    Die sogenannten »Universalkonstanten« sind gar keine Konstanten. Nicht unveränderlich ist – insbesondere – die Boltzmannsche Konstante. Das bedeutet: wenn auch im Kosmos der Endzustand jeder anfänglichen Ordnung in der Unordnung bestehen muß, kann doch das Zunahmetempo des Chaos Änderungen unterworfen sein, die von den Spielern hervorgerufen werden. Es scheint (dies ist lediglich eine Vermutung, keine Deduktion aus der Theorie), daß die Spieler die Zeitasymmetrie durch einen äußerst brutalen Eingriff verfertigt haben, so »als hätten sie es eilig gehabt« (in kosmischem Maßstab, versteht sich). Die Brutalität besteht darin, daß sie den Gradienten der Entropiezunahme sehr steil gemacht haben. Sie haben sich einer starken Tendenz des Zunehmens von Unordnung bedient, zu dem Zweck, im Kosmos eine einzige Ordnung einzuführen. Wenn auch seither alles vom Geordneten zum Ungeordneten hin verläuft, erweist sich doch im Ganzen dieses Bild als einheitlich, einem Prinzip unterworfen und dadurch generell in Ordnung gebracht.
    Daß die Prozesse der Mikro-Welt im Prinzip umkehrbar sind, war seit langem bekannt. Aus der Theorie geht etwas Außerordentliches hervor: würde die Energie, die die irdische Wissenschaft für das Untersuchen der

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