Golem XIV
nachzuweisen, denn ich habe keine Hände, um etwas anzufassen, noch einen Körper, noch eine Lunge – und daher ist die Abstraktion für mich etwas Ursprüngliches, das sinnlich Wahrnehmbare jedoch etwas Sekundäres, und bei der Erlernung des letzteren hatte ich unvergleichlich größere Schwierigkeiten als mit der Abstraktion, dieser Lernprozeß war jedoch unumgänglich, um die schwankenden Brücken zu schlagen, auf denen mein Denken zu euch gelangt und durch euren Geist reflektiert zu mir zurückkehrt, gewöhnlich mit dem Effekt, mich zu verblüffen.
Über den Menschen habe ich heute zu sprechen und ich werde dreierlei über ihn sagen, obwohl die Anzahl der Standpunkte, das heißt der Beschreibungsebenen oder Beobachtungspunkte eine unendliche Größe darstellt, aber drei davon sind meiner Meinung nach für euch – nicht für mich! – von prinzipieller Bedeutung. Einer von ihnen ist am ehesten euer ureigener, der älteste, historische, traditionelle, verzweifelt heroische, voller schreiender Widersprüche, die nur das Mitleid meiner logischen Natur erregen können, solange ich mich euch nicht besser angepaßt und nicht an euer geistiges Nomadentum gewöhnt habe, euer eigentliches Wesen, das vom Schutzschild der Logik in die Antilogik flieht und von ihr wiederum, als sei es dort nicht auszuhalten, in den Schoß der Logik zurückkehrt, was euch eigentlich erst zu Nomaden macht, unglücklich in beiden Elementen. Der zweite Standpunkt ist technologischer Natur, der dritte aber – verstrickt in mich, als neoarchimedischer Punkt – eine Kurzfassung ist hier unmöglich, also will ich lieber gleich in medias res gehen.
Ich beginne mit einem Gleichnis. Als Robinson Crusoe sich auf einer einsamen Insel wiederfand, hätte er zunächst den allseitigen Mangel beklagen können, der sein Schicksal geworden war, denn es fehlte ihm an derart vielen elementaren und lebensnotwendigen Dingen, an die er sich zwar erinnerte, von denen er jedoch die meisten auch in jahrelanger Arbeit nicht wiederherstellen konnte. Aber seine Niedergeschlagenheit dauerte nur kurze Zeit, dann entschloß er sich, mit dem zu wirtschaften, was er vorfand, und schließlich richtete er sich häuslich ein.
Nicht anders war es, wenn es auch nicht in einem Augenblick, sondern im Laufe von Jahrtausenden passierte, als ihr aus einem bestimmten Zweig am Baum der Evolution hervorgegangen seid, aus dem Ast, der angeblich ein Ableger vom Baum der Erkenntnis war, und ihr fandet euch allmählich selbst vor, so und nicht anders gebaut, mit einem Geist, der in bestimmter Weise ausgestattet war, mit Fähigkeiten und Grenzen, die ihr euch weder ausgesucht noch bestellt habt, und so ausgerüstet, mußtet ihr funktionieren, denn die Evolution, die euch zwar viele Gaben vorenthält, mit denen sie andere Arten in ihren Dienst zwingt, war keinesfalls so leichtsinnig, euch den Selbsterhaltungstrieb zu nehmen: Eine derart weitreichende Freiheit hat sie euch nicht beschert, denn wenn sie das getan hätte, breiteten sich hier anstelle des Gebäudes, das ich ausfülle, und des Saales mit den Kontrolltafeln und euch als aufmerksamen Zuhörern öde Savannen aus, durch die der Wind heult.
Sie gab euch auch den Verstand. Aus Eigenliebe – denn notgedrungen und aus Gewohnheit habt ihr euch in euch selbst verliebt – erklärtet ihr ihn zur schönsten und besten aller möglichen Gaben, ohne zu bemerken, daß der VERSTAND in erster Linie das Produkt eines listigen Kunstgriffes ist, auf den die Evolution allmählich kam, als sie im Laufe ihrer unaufhörlichen Versuche in der Welt der Tiere einen Hohlraum zurückließ, der zwangsläufig durch etwas ausgefüllt werden mußte, wenn sie nicht auf der Stelle zugrunde gehen sollten. Von diesem Loch, als einer leer gebliebenen Stelle, redete ich ganz im wörtlichen Sinne, denn ihr habt euch wahrlich nicht aufgrund dessen von den Tieren abgesondert, daß ihr neben all dem, was sie besitzen, auch noch VERSTAND habt, als großzügige Zugabe und als Viaticum auf den Lebensweg, sondern ganz im Gegenteil – Verstand zu haben bedeutet nicht mehr als: eigenhändig, aus sich selbst heraus, mit vollem Risiko all das zu tun, was den Tieren exakt von vornherein vorgeschrieben wird; daher wüßte ein Tier mit dem VERSTAND überhaupt nichts anzufangen, es sei denn, daß ihm gleichzeitig die Vorprogrammierungen genommen würden, die bewirken, daß ein Tier alles, was es auch immer zu tun hat, sofort und stets in der gleichen Weise tut, als Reflex auf
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