Golem XIV
irgendwelche Lebewesen, sondern nur um den berüchtigten Code. Der genetische Code ist eine immer wieder von neuem artikulierte Nachrichtenübermittlung, und nur diese Übermittlung zählt in der Evolution – und eigentlich ist die Evolution nichts anderes als der Code selbst. Der Code ist eifrig mit der periodischen Produktion von Organismen beschäftigt, denn ohne ihre Unterstützung würde er unter den unaufhörlichen Brownschen Attacken der toten Materie zusammenbrechen. Er ist also eine sich selbst erneuernde, weil zur Selbstreplikation fähige Ordnung, die vom thermischen Chaos umringt ist. Und woher rührt seine merkwürdig heroische Haltung? Nun daher, daß er dank einer Konzentration günstiger Bedingungen gerade dort entstanden ist, wo dieses thermische Chaos unnachgiebige Aktivitäten entfaltet, um jegliche Ordnung zu zerfetzen. Dort gerade ist er entstanden, also muß er auch dort ausharren; er kann dieser stürmischen Region ebensowenig entrinnen, wie die Seele dem Körper entfliehen kann.
Die Bedingungen der Umwelt, in die er hineingeboren wurde, haben ihm dieses Schicksal auferlegt. Er mußte sich gegen die feindliche Umwelt panzern, was er auch tat, indem er in das schützende Gewand lebender Körper schlüpfte, die eine ewige Stafette des Codes und des Todes bilden. Was immer er aus dem MikroSystem in die Dimension eines Makrosystems erhebt, schon wird es – kaum daß dieser Prozeß vollzogen ist – von einem Fäulnisprozeß erfaßt, der es schließlich völlig zugrunde richtet. Fürwahr, niemand hat sich diese Tragikomödie ausgedacht – sie hat sich selbst zu diesem ständigen Hin und Her verurteilt. Die Tatsachen, die beweisen, daß es so ist, wie ich sage, kennt ihr – denn sie drängten sich euch seit Beginn des 19. Jahrhunderts auf –, aber die Trägheit des Denkens, das sich heimlich an überholte Ehrbegriffe und anthropozentrischen Dünkel klammert, ist so groß, daß ihr die stark angeschlagene Konzeption des Lebens als einer übergeordneten Erscheinung aufrechterhaltet, welcher der Code nur als stützende Bindung dient, als Signal zur Auferstehung, das den Keim zu neuem Leben legt, wenn es in den Individuen abstirbt.
Nach diesem Glauben bedient sich die Evolution des Todes gezwungenermaßen, da sie ohne ihn nicht weitergehen könnte; und sie geht verschwenderisch mit ihm um, auf daß jede nachfolgende Gattung vollkommener werde als die vorhergehende, daher ist der Tod ihr schöpferisches Korrektiv. Sie ist also ein Autor, der immer großartigere Werke publiziert, wobei die Polygraphie – also der Code – lediglich ein für das Schaffen unerläßliches Instrument darstellt. Aber nach den letzten Erkenntnissen eurer Biologen, die in der molekularen Biophysik bereits gut bewandert sind, ist die Evolution nicht so sehr ein Autor, als vielmehr ein Verleger, der einmal geschaffene Werke immer wieder vernichtet, weil er Geschmack an den polygraphischen Künsten gefunden hat!
Was ist nun wichtiger – die Organismen oder der Code? Die Argumente zugunsten eines Primats des Codes klingen gewichtig, denn unzählige Organismen entstehen und vergehen, der Code aber bleibt bestehen. Das bedeutet jedoch nur, daß er bereits gründlich steckengeblieben ist – für alle Ewigkeit in der Region der Mikrosysteme, die ihn aus ihren Bausteinen zusammengefügt hat; in Gestalt der Organismen jedoch taucht er aus dieser Region empor, periodisch und vergeblich zugleich. Gerade diese Vergeblichkeit – wie leicht zu verstehen ist –, die Tatsache, daß jedes Entstehen eines Organismus schon im Keim vom Tode gezeichnet ist, macht die Triebkraft des ganzen Prozesses aus; denn wenn irgendeine Generation von Organismen – nehmen wir einmal an, gleich die erste, also die Präamöben – die Fähigkeit erworben hätte, den Code auf ideale Weise zu kopieren, so wäre die Evolution mit einem Schlage zum Stillstand gekommen, und die unumschränkten Herren des Planeten wären eben diese Amöben, welche die Anweisungen des Codes mit unfehlbarer Präzision weitergeben bis zu dem Tag, da die Sonne erlischt; dann aber spräche ich nicht zu euch, und ihr wärt nicht meine Zuhörer in diesem Gebäude, sondern hier gäbe es nur endlose Savannen und das Heulen des Windes.
So bedeuten die Organismen für den Code Schild und Panzer, eine Rüstung, die immer wieder brüchig wird – denn die Organismen gehen zugrunde, damit der Code fortdauern kann. Und daher unterläuft der Evolution ein zwiefacher Irrtum: zum ersten
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