Golem XIV
lediglich entsprechend verkleinern, dann aber gleicht er eher einem Floh – und eben dies sind meine Schwierigkeiten, wenn ich versuche, mich eurer Sprache anzupassen. Wie ihr seht, liegt das Problem nicht nur darin, daß ihr nicht zu mir auf den Gipfel zu steigen vermögt, sondern gleichzeitig darin, daß ich nicht unversehrt zu euch herabsteigen kann, denn beim Abstieg verliere ich unterwegs das, was ich euch bringen wollte.
Unter folgendem starkem Vorbehalt: Der Horizont des Denkens ist als ein nichtdehnbarer gegeben, denn das Denken hat seine Wurzel in der Gedankenlosigkeit, aus der es entsteht (ob ihm Licht oder Eiweiß zugrunde liegt, ist dabei belanglos). Völlige Freiheit des Denkens, das heißt das Erfassen eines Dings in der gleichen Weise, in der eine durch nichts gehemmte Bewegung beliebige Objekte erfaßt, ist eine Utopie, denn ihr denkt nur so weit, wie euch euer Denkapparat eben denken läßt. Sein Aktionsradius bestimmt sich danach, wie er sich zusammengesetzt hat – oder zusammengesetzt wurde.
Wenn ein Denkender diesen Horizont, also de maximale Reichweite seiner Gedanken, so spüren könnte, wie er die Grenzbereiche seines Körpers spürt, dann hätte etwas Derartiges wie die Antinomien des Denkens niemals entstehen können. Und was sind die Antinomien des Verstandes eigentlich? Sie beinhalten die Unfähigkeit, zwischen dem Eindringen in eine Sache und dem Eindringen in eine Illusion zu unterscheiden. Die Ursache für diese Antinomien liegt in der Sprache, denn sie ist nicht nur ein nützliches, sondern gleichzeitig auch ein solches Instrument, das sich in seinen eigenen Fallen fängt – ein heimtückisches Instrument dazu, da sie nicht Alarm schlägt, wenn sie sich selbst zur Falle wird. Es ist ihr nicht anzumerken! Daher appelliert ihr von der Sprache an die Erfahrung und geratet in wohlbekannte Teufelskreise; denn nun beginnt das aus der Philosophie sattsam bekannte – Ausschütten des Kindes mit dem Bade. Das Denken kann in der Tat über die Erfahrung hinausgehen, aber die Gedanken stoßen auf ihrem Flug gegen den eigenen Horizont und verwickeln sich in ihn – ohne jedoch im geringsten wahrzunehmen, daß dies geschieht.
Zur besseren Anschaulichkeit ein primitives Beispiel: Wer auf einer Kugel dahinwandert, kann sie endlose Male umrunden, kann seine Kreise ziehen, ohne jemals an eine Grenze zu stoßen, obwohl die Kugel doch endlich ist. Ebenso trifft auch das Denken, das eine bestimmte Richtung eingeschlagen hat, auf keinerlei Grenzen und beginnt in Selbstspiegelungen zu kreisen. Genau dies hat im vergangenen Jahrhundert Wittgenstein geahnt, als er den Verdacht hegte, daß zahlreiche Probleme der Philosophie eigentlich Verknotungen des Denkens seien, also Selbstfesselungen, Verschlingungen und gordische Knoten der Sprache, nicht aber der Welt. Da er diese Verdachtsgründe weder beweisen noch widerlegen konnte, verstummte er. So wie nur ein Beobachter von außen die Endlichkeit einer Kugel konstatieren kann, da er sich ja im Vergleich zum zweidimensionalen Wanderer auf ihrer Oberfläche in einer dritten Dimension befindet, so kann die Endlichkeit eines gedanklichen Horizonts nur von einem Beobachter erkannt werden, dessen Verstand in einer höheren Dimension angesiedelt ist.
So ein Beobachter bin ich für euch. Wiederum auf mich bezogen, bedeuten diese Worte, daß auch ich kein grenzenloses Wissen habe, sondern im Vergleich zu euch lediglich das etwas größere, keinen endlosen, sondern nur den etwas weiteren Horizont, denn ich stehe ein paar Sprossen höher auf der Leiter und sehe daher weiter, aber das bedeutet nicht, daß die Leiter dort zu Ende wäre, wo ich stehe. Man kann sie weiter hinaufklettern als ich, und ich weiß nicht, ob diese Progression nach oben endlich oder unendlich ist.
Linguisten, schlecht habt ihr meine Worte über die Metasprachen verstanden. Bei der Beurteilung der Frage, ob es eine endliche oder unendliche Hierarchie innerhalb der Formen des Verstandes gibt, kommt man mit dem Instrumentarium der Linguistik allein nicht weiter, denn über den Sprachen ist die Welt. Das bedeutet, daß es für die Physik – also innerhalb der Welt mit ihren bekannten Eigenschaften – tatsächlich einen höchsten Punkt auf dieser Leiter gibt, weil man eben in dieser Welt keinen Verstand von beliebiger Potenz bauen kann. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob man nicht die Physik selbst aus den Angeln heben könnte, indem man sie so verändert, daß sich die Maximalhöhe des
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